Schimmelig und verschmiert

■ Hannoveraner Arbeitsmediziner warnt vor Pilzen und Bakterien im Recyclinggeschäft

Es war wie im Vorhof zur Hölle. Bernhard Schappler-Scheele, Landesgewerbearzt in Hannover, besuchte auf den Tip eines Freundes hin eine der 40 niedersächsischen Abfallsortieranlagen, in denen Töpfers gelbe Säcke wieder aufgeschlitzt werden. Er fühlte sich an „frühkapitalistische Zustände erinnert“: schmutzstarrende Arbeitsplätze, schimmelig verschmierte Transportbänder, ein ekliger säuerlicher Geruch wehte ihn an, so daß er lieber sparsam atmete. Die Arbeitnehmer, überwiegend Frauen, öffneten die Säcke mit einem Messer, wühlten in gammeliger Materie herum, in der sie auch mal gebrauchte Spritzen, vollgeschissene Windeln und blutige Damenbinden fanden. Der Mediziner war alarmiert: Der Umgang mit dieser schimmelnden organischen Masse bedeute eine unmittelbare Gefahr für die Beschäftigten. Pilze, Sporen, Bakterien flogen, wie Messungen ergaben, in großen Mengen dorch die Luft. Keimzahlen wurden gemessen, die um den Faktor Millionen höher lagen als in normaler Zimmerluft. Von diesem Augenblick an war Schappler-Scheele klar: hier mußte etwas passieren. Anfang der Woche diskutierte er mit anderen Fachkollegen das Thema „Sicherer Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen“ auf einem vom TÜV veranstalteten Symposium in Hannover.

Schappler-Scheele sieht mit der Recycling-Industrie eine Branche heranwachsen, die irgendwann einmal eine Millionen Arbeitsplätze repräsentieren wird. Neue Berufe wie der des Entsorgers entstehen schon. Doch solange der Müll in den Haushalten nicht sauber getrennt wird und sich überall organische Stoffe hineinmischen, birgt das Recycling Risiken. „Es entsteht eine Industriezweig, wo die Hygiene mit Füßen getreten wird,“ warnt Schappler-Scheele. Die gesundheitlichen Schäden werden oft nicht richtig gedeutet. Husten, Müdigkeit, Durchfall, Schüttelfrost, Fieber - da heißt es meist „Grippe“, wo es sich um eine Vergiftung handelt. Immungeschwächte Personen können im Bereich der Nasennebenhöhlen und an der Lunge erkranken. Auch der Zerfall bestimmter Bakterien macht diese nicht unschädlich - sog. Endotoxine entstehen, die ebenfalls giftig sind.

Die Gesetzteslage ist ebenso klar wie katastrophal: Es gibt eine EG-Richtlinie aus dem Jahr 1990, die bis heute nur in Deutschland (und Griechenland) nicht umgesetzt ist. Einzig Niedersachsen ist vorgeprescht und hat einen Grenzwert und eine Meßmethode erlassen. Das Aufschneiden der oft Wochen alten Säcke von Hand, als besonders gefährlich eingeschätzt, ist hier verboten.

Die Problematik betrifft übrigens fast alle Bereiche des Recyclings: auch Kompostieranlagen müssen Gammel oder Gefährliches wie Altöl oder gar Handgranaten (per Hand) aussortieren; auch in der biologisch-mechanischen Restabfallverwertung, die die Müllverbrennung ersetzten soll, fällt Organisches an. Immer häufiger muß ma sich um alte, „undichte“ Deponien kümmern und sie umsetzten, „da haben Sie die ganze angerottete Organik dabei“ (Schappler-Scheele).

In Bremen hat sich Anfang der Woche just zu diesem Thema der Christliche Gewerkschaftsbund (CGD) geäußert und entschiedene Maßnahmen zum Schutz der ca. 200 Beschäftigten in und um Bremen gefordert. Der CGB hat festgestellt, daß sich wegen der relativ guten Bezahlung in der Branche kaum Widerstand regt. „Selbst auf die Gefahr hin, daß Arbeitsplätze verloren gehen, ist die Umstellung von manueller auf maschinelle Wertstoffsortierung anzustreben.“

Richtig aneinandergeraten ist Landesgewerbearzt Schappler-Scheele bei seinen Recherchen, die ihn auch ins bremennahe Pennigbüttel führten, mit dem Großentsorger Nehlsen: „Die haben uns schwer um die Ohren geschlagen.“ Es geht um Geld. Die Anlagen müssen zumindest mit einer wirksamen Entlüftung nachgerüstet werden. Nehlsen mochte nicht einsehen, daß von einem schlecht gespülten Yorhurtbecher eine Gefahr ausgehen kann. „Aber bisher hat noch keiner geklagt,“ bemerkt dagegen der Arbeitsmediziner. Immerhin gesteht er einige Defizite in der wissenschaftlichen Erforschung der Pilzproblematik ein.

Bäckerasthma, Farmerlunge, Käsewäscherlunge - das sind alles gut untersuchte Berufskrankheiten. In der Recyclingwirtschaft steht man erst am Anfang. Schappler-Scheele mischt jetzt auf Bundesebene mit – gestern hat er sich an den Ausschuß für Gefahrenstoffe beim Bundesarbeitsminister gewandt. „Sowas wie diese Anlagen kann sich eine Kulturnation nicht leisten.“

Burkhard Straßmann

Am 6.April um 20 Uhr spricht Dr.B. Schappler-Scheele in der Angestelltenkammer Bremen zum Thema „Arbeitsschutz in der Abfallwirtschaft“