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Post-Ostmoderne

■ Mit Jan Linkens beginnt eine neue Ära der Choreographie an der Komischen Oper

Ein Tanz auf dem Drahtseil: Im August vergangenen Jahres haben zwei Niederländer die Leitung der Tanzkompanie der Komischen Oper übernommen. Marc Jonkers ist der neue Direktor und Jan Linkens der neue Chefchoreograph des Tanz-Ensembles. Keine leichte Aufgabe für die Westler. Denn Westler sind sie, auch wenn sie (was vielleicht eine kleine Erleichterung bedeuten mag) aus dem Ausland kommen.

Die Komische Oper ist, nachdem die Lindenoper in den letzten Jahren zunehmend von der West- Schickeria okkupiert wurde, das Opernhaus mit der stärksten Ost- Bindung. Nicht zuletzt dank dem Choreographen Tom Schillings, dessen Ost-Moderne die Tanzkompanie geprägt hat – eine alt und müde gewordene Moderne, die Patina angesetzt hat. Das neue Leitungsteam will nun verhindern, daß aus der Komischen Oper ein Tanzmuseum wird, und sucht Anschluß an die internationale Tanzmoderne. Damit erfüllen die beiden Niederländer eine Forderung, die KritikerInnen der unterentwickelten Berliner Tanzszene schon lange an die drei Opernhäuser stellen: Zumindest eine der drei gnadenlos konservativen Ballettkompanien der Stadt sollte sich konsequent am zeitgenössischen Tanz orientieren.

Wie konsequent Jonkers und Linkens diesen Weg gehen werden, ist noch unklar – gleichwohl stehen sie für den überfälligen Richtungswechsel. Das ist erfreulich und gab dem traditionellen Publikum der Komischen Oper bereits Anlaß für einigen Zorn. Bei dem ersten von Jan Linkens choreographierten Tanzabend wurde der neue Chef vom Premierenpublikum mit einer wahren Woge von Buhrufen überschüttet. Deutlicher läßt sich mangelnde Neugierde nicht demonstrieren.

Linkens Choreographien zu Strawinskys Opern-Oratorium „Ödipus Rex“ und seine moderne Fassung des Ballett-Klassikers „Petruschka“ (ebenfalls von Strawinsky komponiert) werden zwar nicht in die Tanzgeschichte eingehen – eine solche Reaktion aber haben sie trotz aller Mängel wirklich nicht verdient. Das Publikum begrüßt die neuen Chefs. Ein mittelschwerer Fall von Ressentiment – anders läßt sich dieser Vorgang wohl kaum erklären. Immerhin zeigte der Premierenabend ebenfalls, daß das neue Leitungsteam (das erfreulicherweise frei von westdeutscher Arroganz daherkommt) das Ensemble auf seiner Seite hat. Aber der Versuch, das Publikum für ihren neuen Weg zu gewinnen, könnte schwer werden.

Jan Linkens hat mit der Entscheidung für zwei Handlungsballette versucht, die Traditionen des Hauses fortzuführen. Und einigen Mut bewiesen: Er ist der erste Choreograph, der versucht, Strawinskys Opern-Oratorium für den Tanz zu entdecken. Die dramatis personae werden aufgespalten in Sänger und Tänzer, der Chor wird tänzerisch durch das Corps de ballett verdoppelt: ein Experiment, das nur teilweise gelungen ist.

Während die Gruppenszenen in ihrer ästhetischen Geschlossenheit überzeugen, sehen die Solisten reichlich blaß aus: Neben den gewaltigen Arien von Daphne Evangelatos wirken Jutta Deutschlands Sprünge reichlich schwach. Auch Thomas Vollmer als Ödipus, der sich bedeutungsschwer über die Bühne wuchtet, kann es mit dem Tenor Michael Rabsilber nicht aufnehmen. Hier hätte eine zurückgenommene, stilisierte Bewegungssprache als Kontrapunkt zu der emotionsgeladenen Musik wohl mehr Kraft entwickelt als der Versuch eines gestischen Erzählens und allzu direkter Illustration von Musik durch Tanz.

Wie sich Tanz und Gesang gegenseitig potenzieren können, zeigen dagegen die Szenen, die Linkens für das Corps entworfen hat. Hier entfaltet sich eine dynamische Gewalttätigkeit, durch die sich in dieser Inszenierung des antiken Dramas die kollektive Kraft zur Hauptrolle auswächst: Der vom Tanz-Ensemble großartig und mit viel Einsatz getanzte Chor läßt sich geradezu besinnungslos von der Musik treiben und macht König Ödipus zu einem Spielball der Masse.

Auch der zweite Teil des Abends kann nur begrenzt überzeugen. Jan Linkens will die Geschichte Petruschkas völlig neu erzählen, aber da er dem Erzählerischen nicht verhaftet bleiben will, erzählt er nur andeutungsweise. Eine fatale Inkonsequenz. So gelingen einzelne Szenen hervorragend, doch durch den Handlungsverlauf zuwenig motiviert, können sie ihre Kraft nicht recht entfalten. Mario Perricone als Petruschka zeigt ein hervorragendes Solo, in dem er sich vor Liebesschmerz verzehrt, mit merkwürdigen, virtuosen und zugleich plumpen Sprüngen – aber ohne eine vorherige entsprechende dramaturgische Entwicklung laufen solche Darstellungsweisen ins Leere. Michaela Schlagenwerth

Nächste Vorstellung am 23.3., 19.30 Uhr, Komische Oper, Behrenstraße 55–57, Mitte.

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