Selbstvergnügt tanzt der Instrumentalist

Globokar, Anzellotti und das Ensemble Modern bei der 15. Musik-Biennale. Ein Zwischenbericht  ■ von Christine Hohmeyer

„Wir fangen an!“ schreit eine Stimme von draußen. Vereinzelte Posaunentöne erklingen. „Wir fangen am Anfang an.“ Gelächter im Kammermusiksaal des Konzerthauses. Schritte und seltsame Geräusche, tierisch klingende Laute, abgehackte Tonfolgen. Erst spät erscheint der Mann mit der Posaune in einem Lichtkegel, aber wir sind, ohne es zu merken, längst mittendrin im Stück. Vinko Globokar hat sein Publikum eingefangen. Denn „Prestop II“ ist ein szenisches Klang- und Sprechstück für Posaune und Elektronik, das die Aufmerksamkeit von draußen nach drinnen lenkt, von den alltäglichen Geräuschen weglotst in die visionäre Welt der nicht-alltäglichen Klänge. Ein Werk über die Philosophie des Anfangs.

Der Soloabend von Globokar am letzten Sonntag war ein heimlicher Höhepunkt der Musik-Biennale, abseits des Orchesterrummels und der voluminösen Klang- Ereignisse. Dabei wurden hier auch zwei Auftragswerke der Musikbiennale uraufgeführt. Der griechische Komponist Georges Aperghis setzt bereits durch den Titel „Ruinen“ programmatische Assoziationen frei. Karge Klang- Rudimente, vereinzelte Musiksplitter behindern den Instrumentalisten, der sich zwischen den Ruinen durchtastet, vorsichtig, schwärmerisch oder mit Atem und Stimme wütend aufbegehrend.

Ein fröhliches Stück ist dagegen „ESSAI de trombone“ von dem Schlagzeuger Jean Pierre Drouet, der in den Siebzigern mit Globokar in einem Improvisationsensemble spielte. In einem gelungenen Versuch werden Emotionen auf drei Ebenen dargestellt, seelisch, körperlich und musikalisch, als lautgewordener Ausdruck des Inneren. Selbstvergnügt tanzt der Instrumentalist auf der Stelle, lacht und singt in die Posaune hinein. „Mein Körper ist eine Posaune geworden“, sagt Globokar dazu.

War es Globokars Programm, Körperlich-Seelisches witzig in Musik zu übersetzen und dabei Sprache, Szene, Klang und Geräusch extensiv zu verbinden, so wählte Teodoro Anzellotti in einer Nachtvorstellung am Tag zuvor mit dem Akkordeon einen ganz anderen Weg. Intensiv verstrickt er sich in die Musik selbst, lauscht Klangprozessen hinterher und entfaltet mit sparsamem Gestus eine Klangfarbenpracht, die man der Quetschkommode nicht zugetraut hätte. Anzellotti ist der Piazolla des Akkordeons.

Herausragend in diesem Programm das uraufgeführte „Nachtstück“ des thüringischen Komponisten Helmut Zapf, der den zutiefst romantischen Topos der Nacht in der Dialektik von Klang und Verklingen, Ruhe und Bewegung aufs neue vertont. Kontrapunktisch erklingt ein leiser Dialog zwischen hohem und tiefem Register, Melodienfolgen setzen an, brechen ab. Stille wird zum Eigentlichen. Dazu tanzen an der Decke Lichtreflexe des Blasebalgs, kleine Kringel, die im visuellen Nebeneffekt noch einmal die Bewegungsformen der Musik unterstreichen. Ein Komponist, der eben dieses die Musik polarisierende Verhältnis von Stille und Klang radikal ausgelotet hat, ist Morton Feldman. Am Mittwoch spielten vier Pianisten des Ensemble Modern „Piece for Four Pianos“ von 1957, ein experimentelles Werk, welches jedem Spieler die gleichen Töne vorschreibt, die Nuancen der Klänge und das Timing aber vollständig freigibt. Spannungsgeladen und unvorhersehbar in der Zeit wurden die „Schaumblasen auf der Oberfläche der Stille“ (Cage) zu einer Musik, die sich aus dem Korsett metrisch gegängelter Zeit befreite.

Rhythmisch extrem strukturierte Zeit, im immerwährenden Wandel begriffen, ist dagegen das Merkmal des noch immer ungebrochen populären Minimalismus von Steve Reich, der selbst virtuos und zur Freude des Publikums einen Schlagzeugpart von „Drumming“ übernahm. Gegen diese kunstvoll sich verschiebenden Variationen rhythmischer Patterns wirkte das vor wenigen Wochen in Metz uraufgeführte Stück „City Life“, ein Schmelztiegel urbaner Klänge, mit den gesampelten Autohupen und Sirenen vergleichsweise banal. Dennoch: Das Ensemble Modern mit der gnadenlos präzisen Dirigentin Sian Edwards brachte die Philharmonie zum Brodeln.

Biennale heute: Ensemble Modern mit R.Klettig und C.Schäfer spielt Hans Werner Henze, Paul Dessau, Helmut Oehring, C.J. Walter und Tania León, 19 Uhr, Kammermusiksaal der Philharmonie; Liliana Poli, Kadigia Bove und Eberhard Blum spielen Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen, 22 Uhr, Neue Nationalgalerie.