Ein weißer Fleck im Wahlkampf

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf kommt die Außenpolitik erst an letzter Stelle / Kandidat und Favorit Jacques Chirac im Spagat zwischen Euro-Skeptikern und -Enthusiasten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Außenpolitik kommt als letztes. Sechs Wochen vor den französischen Präsidentschaftswahlen widmete sich gestern der Dauerbürgermeister von Paris und gegenwärtige Favorit Jacques Chirac als erster Kandidat diesem Thema. Was dabei herauskam, ist ein Spagat zwischen Euroskeptikern und Freunden der Europäischen Union und eine Rückbesinnung auf Frankreichs Bedeutung als Weltmacht, die er unter anderem mit einer Wiederaufnahme der Atomtests betonen will.

Obwohl Außenpolitik und Verteidigung zu den Hauptaufgaben des Staatspräsidenten gehören, blieb Europa monatelang ein weißer Fleck im Wahlkampf. Nur aus vagen Andeutungen ging einiges hervor: So ist von dem neogaullistischen Premierminister und Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur bekannt, daß er die Atomtest „nach Möglichkeit“ durch Computersimulation ersetzen will, an ein „Europa der Nationen“ glaubt, und daß er die Währungsunion noch im Jahr 1997 für möglich hält. Von dem Sozialisten Lionel Jospin weiß man, daß er das Mitterrandsche Atomtestmemorandum beibehalten will, aber keinesfalls an die Abschaffung der französischen Atomstreitmacht denkt. Und gegenüber den Maastrichter Verträgen, die er früher von links kritisierte, ist er etwas enthusiastischer geworden.

Am unklarsten von allen dreien war die außenpolitische Position des Kandidaten Chirac, in dessen Gefolgschaft sich sowohl jene französischen Politiker befinden, die bereit sind, von einem europäischen Föderalismus zu sprechen, als auch solche, die beim Referendum über die Maastrichter Verträge 1992 für das „Nein“ geworben haben. Chirac selbst stimmte damals mit „Ja“. Doch gestern sprach er von den Verträgen, die den Einstieg in die europäische Zukunft markieren sollten, bereits in der Vergangenheit. „Sie waren“, sagte er, „ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.“ Das erwartete „große Rendez-vous mit der Geschichte“ sei ausgeblieben. Er wolle nicht hinter die Verträge zurückgehen, erklärte er. Aber vor dem nächsten großen Schritt, der in den Verträgen vorgesehen ist, will er eine Bremse setzen: Eine neue „große Debatte“ soll der Währungsunion vorausgehen – das Referendum, das er zu Beginn seines Wahlkampfes propagiert hatte, erwähnt er nicht mehr.

„Neu diskutieren“ will Chirac auch die Schengener Verträge, die in der nächsten Woche in die Tat umgesetzt werden sollen. Andere Vorschläge als die bisherigen Europapolitiker seines Landes hat er auch für die institutionelle Reform der EU: So setzt er zum Beispiel eher auf eine schnelle Erweitertung nach Osteuropa als auf eine Vertiefung der Institutionen.

Eine andere Politik in Ex-Jugoslawien hat bislang nur der sozialistische Präsidentschaftskandidat Jospin – vorsichtig – angekündigt. Falls nötig, werde er das Waffenembargo gegen Bosnien aufheben, sagte er Anfang der Woche. Die Gruppe französischer Intellektueller, die im vergangenen Jahr bei den Europawahlen eine eigene „Sarajevo-Liste“ aufgestellt hatte, griff den Vorschlag sofort auf. Bis zu den Präsidentschaftswahlen soll kein Tag vergehen, an dem nicht Bosnien erwähnt wird, kündigte der Philosoph Bernard- Henri Lévy an. „Mein Europa“, begründete er, „geht bis Vukovar, Grozny und Sarajevo.“