Denkanstoß im Stadion

■ Deutsche und niederländische Fanbetreuer suchen und fanden Verständigung

Als Gerd Müller im Finale der Fußballweltmeisterschaft 1974 in München das deutsche Siegtor zum 2:1 schoß, stürzte er damit Deutschland in einen Freudentaumel und die Niederlande in eine Depression. „Holländische Fußballkünstler verlieren gegen teutonische Brechstangenkicker“ hieß es seitdem im kleinen Nachbarland. Die Schmach wurde erst 1988 getilgt: Marco van Basten ließ bei der Europameisterschaft in Hamburg die deutsche Abwehr alt aussehen, verwandelte zum 2:1. Holland wurde Europameister und stand Kopf.

So jedenfalls sehen echte Fußballfans den Lauf der Geschichte. Sie wissen auch, daß es seit Jahr und Tag zwischen den Fans aus Deutschland und Niederlanden regelmäßig Prügel gibt, egal ob nun Nationalmannschaften oder Vereine aufeinandertreffen. Für die Polizei jedenfalls bedeutet Deutschland-Niederlande regelmäßig Alarmstufe rot. Und für die Fanbetreuer ebenso.

Um das in Zukunft zu entschärfen, trafen sich im Bremer Lidice-Haus in der vergangenen Woche 30 deutsche und 6 niederländische „Fan-Arbeiter“. Denn die Lust, dem jeweils anderen auf dem Spielfeld und anderswo vors Schienbein zu treten, ist nicht nur bei den Hooligans verbreitet: Auch die Fan-Betreuer waren mißtrauisch gegeneinader, mußten sich erst kennenlernen und Vorurteile abbauen, meinte am Ende der Tagung Thomas Schneider, Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der Deutschen Sportjugend. „Wir haben verabredet, uns weiterhin zu treffen und auch mal bei der Fan-Arbeit im jeweils anderen Land zu hospitieren.“ Ab und zu sollen dann auch ein paar Fans mitgebracht werden – aber nur in homöopathischen Dosen.

Denn ein Treffen der Fans untereinander wäre beim jetztigen Stand der Beziehungen „fahrlässig“, meinte Schneider. Zu frisch sind die schlechten Erfahrungen auf beiden Seiten: Erst kürzlich wurden die Bremer Fans in Rotterdam direkt am Bahnhof von der Polizei eingesackt und im Stadion abgeliefert. Bloß keinen Kontakt mit Land und Leuten! „Aber Fußballfans wollen auch die fremde Stadt sehen, wollen Leute treffen, wollen Fan-Artikel tauschen“, meinte Schneider. Da sei „mühselige Kleinarbeit“ gefragt, um diese Bedürnisse in Übereinstimmung zu bringen.

Raus wollen die Fan-Arbeiter jedenfalls endlich aus dem schier ewigen Kreislauf von „Revanche für die Revanche der Revanche“, zu der jede einzelne Begegnung hochstilisiert wird. Im März 1996 steht ein „Freundschaftsspiel“ der Nationalmannschaften an – „Das sollte wirklich zu einem Freundschaftsspiel werden“, fordern die Fan-Arbeiter. Sie wollen in die Planung für das Rahmenprogram einbezogen werden, sie fordern „flankierende Maßnahmen, nicht nur Polizei“. Und sie haben Ideen, wie man schon vor der Begegnung die Aggressionen abbauen könnte: Alt-Stars wie Johan Cruyff oder Franz Beckenbauer oder auch aktuelle Starspieler könnten gemeinsam zum Fair Play auf den Rängen aufrufen, man könne beim Spiel vielleicht insgesamt 20 Spieler einwechseln oder – warum nicht? – die Mannschaften mischen. „Die Spieler kennen sich doch gut und kommen gut miteinander aus, arbeiten in den gleichen Vereinen und sind sogar manchmal befreundet“, meint Schneider. „Wir haben ein Jahr harte Arbeit vor uns, um für diese sSpiel den Dialog zu suchen “

Arbeit gibt es schon bald genug: Das nächste Zusammentreffen von deutschen und niederländischen Fans wird nämlich keineswegs ein Jahr auf sich warten lassen: In der nächsten Runde der Champions League treffen sich am 5. und 19. April Bayern München und Ajax Amsterdam. bpo