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Pauschal glücklich

■ Mit Neckermann auf Mallorca und doch weit weg von den Touristen-“Massen“ -- einfach davonklettern!

Eine Woche Urlaub. Wow. Nur wohin? Das schreit nach Pauschalurlaub, befindet die KollegInnenschar. Wir pauschal? Wo wir uns sonst je mühseliger umso lieber mit Zelt durch norwegische Gebirge schlagen oder ohne Zelt aber mit Rad durch polnisches Hinterland. Na gut. Aber wenn schon pauschal, dann mindestens so billig wie das individuelle Reisen. „Mallorca“, schlägt die Reiseverkäuferin vor. Ist das nicht die Insel, die unter Hotels versinkt? Ist sie nicht. Denn am linken oberen Rand erhebt sich ein gewaltiges Gebirge, wenn auch nur knapp über 1.000 Meter hoch. Aber bitte: einmal täglich 1.000 Auf- und 1.000 Meter Abstieg, mehr haben die Alpen auch nicht zu bieten. Für Bettschwere ist also gesorgt. So soll es sein.

Gebucht, gepackt. Doch dann, einen Tag vor Abflug, Telegramm von Neckermann: Überbucht, tut uns leid. Stop. Ersatz ein „Minirancho“, zum Ausgleich zwei Tage Mietwagen.Stop. Aufregen? Nein, wichtiger jetzt: Was zieht man an, wenn laut Prospekt die Durchschnittstemperatur im Feburar bei 16 Grad liegt. Heißt das mittags 16 Grad? Oder morgens 8 und mittags 24 Grad? Zumindest wissen wir jetzt, warum der Bremer Flughafen so überheizt ist: Dort stehen die Sonnenhungrigen auch im Winter schon in T-Shirts.

„Guten Tag, hier spricht Kapitän Kretschmer, Bremen erwartet heute Schnee, auf Mallorca wird wohl bald die Sonne herauskommen.“ Was ein Service! Heftiger Adrenalinstoß allerdings nach der Landung in Palma: 26 Grad. Wo ist die Sonnenbrille, wo der spanische Sprachführer, wo der Zug in unser Gebirgskaff Soller? Doch Neckermann hat vorgesorgt: Einzeln werden die Ankommenden abgefangen und abgeführt zu bereitstehenden Bussen, die sie direkt vors Hotel fahren.

Uns fährt der Bus vor die „Mini-Ranchos“, nette Holzhäuschen, die die die anderen Überbuchten sofort als „Hundehütten“ titulieren. Wir aber schweigen und genießen: Statt wuseligem Hotel ein Holzhäuschen für uns allein, mit Bad, Terrasse, Palme, Gummibaum (nicht angefressen), Katze und Kaktus vor der Tür – was will man mehr. Und abends dann noch Sybille, uns Sybille: Die lädt die Neuankömmlinge zu einem „Begrüßungscocktail“. Sie sei unsere Reiseleitung und bei ihr gebe es Aspirin und Mietwagen und so.

Erstmal aber kriegt Sybille Beschwerden um die Ohren gedonnert von all den Ausquartierten. Und wir helfen auch noch ein bißchen nach: Das Eisenbahner-Ehepaar aus Hamburg, das für Meerblick extra draufgezahlt hat und nun in der Hundehütte neben uns wohnt, traut sich nicht so recht. Wir aber finden: drei Tage Mietwagen. Sybille kommt ins Flattern. Sie dürfe gar nichts entscheiden. Sie verschwindet für zwanzig Minuten in der Telefonzelle. Ergebnis: drei Tage Mietwagen plus Rückzahlung.

Zufrieden trotten die Überbuchten zu ihren „Mini-Ranchos“ zurück und setzen sich unter ihre Palmen. Wenn nur nicht diese Nörgler wären, die durch die Anlage pirschen: ein ostdeutsches Ehepaar, seit sechs Wochen auf Mallorca, braun wahrscheinlich bis in die Pofalte, wohnhaft im Hotel „Azur“. „Das ist doch sicher nur ein Provisorium, diese Datscha“, sagt das Paar miesmacherisch, überhaupt sei hier ja gar kein Schwimmingpool. Phh, geben wir zurück, wir dürfen den Pool im „Azur“ mitnutzen. (Badet im Februar eh keine Sau drin.) Und dort speisen wir auch, phh.

Naja, speisen – zum Frühstück bringt man am besten wie die RentnerInnen eigenen Aufstrich mit; gefärbte Wurst und Hustensaft-Marmelade müssen nicht sein. Zum Abendessen dafür ein vier Meter langes warmes Büffet. Überversorgt? Gott, ist auch mal ganz nett, wenn die Dame an der Rezeption sogar den Satz „Der Duschabfluß ist verstopft“ versteht.

Aber sobald wir den neonbeleuchteten Speisesaal mit den rund 150 RentnerInnen verlassen haben, sind wir ganz individuell, nämlich im Gebirge: Man muß nur rechtzeitig per Linienbus in die Berge fliehen, bevor die Touristenbusse aus dem flachen Teil der Insel Soller erreichen. Die ansonsten im Osten der Insel Brutzelnden wollen halt auch mal was von der Welt sehen. Weit kommen sie aber nie. Meist verputzen sie ihre Brote neben dem Bus, gehen kurz pinkeln und schießen ein Foto: „Ernst, das glaubt uns sonst niemand.“ Wenn sie den Kioskbesuch ausfallen lassen (Schaffellschuhe wie in Alpenkiosken) schaffen sie's zum Beispiel in der malerischen Bucht von Sa Calobra vielleicht gerade noch zum Eingang der Schlucht, die tief ins Landesinnere führt.

Die Schlucht aber hat ihr eigenen Schikanen aufgestellt gegen TouristInnen: Kecke kommen noch durch das stehende Gewässer, Gelenkige auch über die ersten aufgetürmten Felsbrocken, nach 500 Metern findet man nur noch die, die klettern können. Und die halten dann auch die Klappe zwischen den Steilwänden, wo hochoben die Vögel kreischen. Tempos in Felsspalten (alpenüblich) sieht man dann nicht mehr.

Sicher, Abenteuer ist es keins, wenn einen jeden Abend ein Buffet und ein gemachtes Bett erwarten. Abenteuer machen wir uns selbst: setzen uns an den falschen Tisch (obwohl durchnummeriert), machen uns fast in die Hose, weil der Reiseführer das Sträßchen die Klippen hinunter nur „sehr erfahrenen Autofahrern“ empfiehlt. (Dabei schaffen's auch parkhauserfahrene). Und als der Flieger auf dem Rückflug über Bremen in heftige Turbulenzen gerät, klammern wir uns wie alle anderen an die Armlehnen und klatschen dankbar, als Flugkapitän Brandt uns sicher abliefert. Klar, daß wir dann, solchermaßen verwöhnt und voll Ökoschwein, nicht die Straßenbahn nachhause nehmen, sondern das Taxi.

Nur das Trauma, das uns am ersten Abend in Bremen überfällt, mit dem haben wir nicht gerechnet. So richtig auf Bremen freut man sich halt doch nur, wenn man vorher ordentlich gelitten hat: wenn im Zelt das Trinkwasser einfror oder man in Warschau drei Stunden nach einer Luftpumpe für französische Ventile gefahndet hat oder man im Nachtzug dreimal von Zöllnern aufgeweckt worden ist. Dann hat man nämlich auch was zu erzählen, jedenfalls mehr als: „Es war einfach ganz herrlich“.

Christine Holch

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