„Spielleyt waren Klatschbringer“

■ Internationaler „Spielleyttreff“ bei der 18. „Pro Musica Antiqua“ / Wie modern darf man die 600 Jahre alte Musik spielen / Früher dienten die Musiker als politische Kommentatoren

Wenn heute abend auf dem Brommy-Platz das Harfen-Consort Guernsey über „Liebe, Trauer, Tanz und Feier“ singt, tanzt und spielt, eröffnet die Gruppe die 18. „Pro Musica Antiqua“. 1960 von Hans Otte gegründet – und in zweijährigem Wechsel mit der „Pro Musica Nova“ organisiert – , sollte mit der „Antiqua“ unerforschte Musik aus dem Mittelalter und der Renaissance vorgestellt werden. Bremen wurde dabei zum Vorreiter für Alte Musik, die so selbstverständlich wie heute nicht immer war. 1980 übernahm der Redakteur für Alte Musik, Helmuth Schaarschmidt, die künstlerische Leitung. Hatten die letzten Festivals weder konzeptionell noch künstlerisch überzeugt, so daß sie wenig überregionales Interesse fanden. Heute aber fängt eine Woche an, die ein Ereignis zu werden verspricht. Beim „Internationalen Spielleyttreff“ werden elf Gruppen von der Bretagne bis Russland, von Irland bis Spanien, von Frankreich bis Deutschland Musik aus dem Mittelalter und der Renaissance vorführen.

Herr Schaarschmidt, einer der Paragraphen im berühmten Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert lautet: „Wer einen Spielmann zu Tode schlägt hat nicht mehr zu zahlen als den Freyspruch beym Stadtgerichte“. Wer waren die Spielleut'?

Helmuth Schaarschmidt: Die Spielleut' sind die Repräsentanten einer Kultur, die vor 600 bis 800 Jahren auf der untersten Ebene der sozialen Schichtung Musik gemacht hat – vogelfrei. Sie gab es am Hof und in der Kneipe, in den Städten, auf dem Land. Sie waren Vertriebene, Fahrende, in das Schema eines Staates nicht Angepaßte. Dazu gehörten Frauen, Kinder, ganze Familien. Sie waren Nachrichtenträger, Geschichtenerzähler, Unterhalter, Klatschbringer, Balladenerzähler und politische Kommentatoren. Und sie dichteten natürlich auch Lyrik, in dieser Zeit gab es ja die Trennung zwischen höherer und niederer Musik noch gar nicht. Kurz: Sie machten alles zwischen Kunst und Unterhaltung zum Broterwerb.

Wenn Sie das Festival mit dem Zelt und dem mittelalterlichen Essen so populär aufziehen, wollen Sie damit eine Verbindung zu heute schlagen?

Ja, sicher. Ich mache das nicht aus wissenschaftlichen Gründen, die werden erst in zweiter Linie wichtig. Mich interessiert zu fragen, wie es denn bei der Völkerwanderung heute aus sieht mit der Funktion der Spielleute, der Unterhalter auf dem Marktplatz, die wieder vertrieben werden, damit unsere Stadt sauber ist. In einer Zeit, in der wir uns immer mehr egalisieren, spielt das Bedürfnis nach Identität eine immer größere Rolle. Dazu hilft natürlich der Blick in die eigene Vergangenheit, und den will ich hier anbieten. Es geht mir also bei aller Unterhaltung durchaus auch um die (kultur)politische Komponente. Denn der Trend zur Weltmusik, den halte ich nicht für die Antwort auf heutige Fragen.

Wenn man einmal bedenkt, daß die erste Liniennotation der späteren „klassischen“ Musik, die des sogenannten Gregorianischen Chorals, nach 1000 stattgefunden hat, wie ist denn die Quellenlage der Volksmusik? Sicher hat doch hier die schriftliche Fixierung viel später eingesetzt.

Die Quellenlage ist natürlich dünn. Wenn man zum Beispiel die Klagen der Kleriker über wilde Tanzepidemien in den Klöstern und Dörfern, geführt von den Abgesandten des Teufels, den Spielleuten, liest, dann ist das ja noch keine Quelle, auch wenn es an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig läßt. Die ersten Melodien wurden im 13. und im 14. Jahrhundert aufgeschrieben und waren verbunden mit bestimmten Tanzschritten. Wichtig ist der große Anteil an Improvisation, der natürlich auch heute geleistet werden muß. Das bedeutet, daß gut über die Hälfte der Musik, die wir im Festival hören, ganz einfach Musik von heute ist.

Elf Gruppen treten hier auf. Hatten Sie da eine große Auswahl? Und welche Bedingungen galten für das Engagement?

Am Anfang mußte ich suchen. Als es sich rumgesprochen hatte, haben sich ganz viele beworben.Das wird auch für mich ein Experiment. Die Freiburger Spielleyt beispielweise, die die Tafelmusik machen, sind LehrerInnen. Die Gruppe Moyland kommt aus dem Folkbereich und hat sich historisch spezialisiert, macht aber auch Zugeständnisse durch die Verwendung von Schlagzeug und E-Baß...

Wie bitte?

Da auch die Besetzungsfrage ja bis auf die Kenntnisse über bildliche Darstellungen völlig unbekannt ist, scheint mir das erlaubt. Die Salzburger Gruppe „Dulamans Vröudenton“ bringt vierzig Instrumente mit und erlaubt sich alle schöpferischen Freiheiten. Ich habe die Grenze da gezogen, wo es zu eindeutig auf den modernen Schlager zugeht, und das ist leider häufig der Fall. Bei uns treten solche Gruppen nicht auf. Einen ganz anderen Zugang bietet das russische Terem-Quartett, die von ihren Instrumenten ausgehend, der heute fast vergessenen Domra, dem Bajan und der Balalaika, sich dann um die mittelalterliche Quellen gekümmert haben. Sie sind fündig geworden, und es dürfte aufregend sein, was sie an Virtuosität und darstellerischen Affekten bringen – eine richtige Bühnenshow haben sie vorbereitet. Ich erwarte klangliche Überraschungen und Wunder.

Die Konzerte werden im KITO in Bremen wiederholt?

Ja. Einmal, weil es wichtig ist, den Bremer Norden einzubinden und zum anderen, weil wir nur dort die professionellen Aufnahmen machen können, die für den internationalen Programmaustausch erforderlich sind. Das geht nicht im Zelt – das übrigens schön geheizt ist! Und noch eins: wenn man an den hohen Anteil von Improvisation denkt: da kann man noch einmal ganz andere Konzerte erleben.

Ute Schalz-Laurenze

Termine der „Pro Musica Antiqua“ : Sa. im Zelt am Brommyplatz, 20 Uhr und So. um 20 Uhr im KITO, Vegesack: das Harfen-Consort, Guernsey, mit „Liebe, Trauer, Tanz und Feier“