Village Voice: Weltschmerz und Germanistik
■ Kunst-Stücke: Knochen=Girl und Irrgardn
Ächz, Knochen=Girl. Kunstkacke fiel wie Schuppen von meinen Augen, als vor zwei Jahren ihre „Gammler und Bulimie“- Platte erschien: Sound-Ungetüme, gemacht für die häusliche Wut im Bauch. Frei von jeglichem Humor schrieb sich anständige Berlin-Wichse an dem einmal vorgegebenen Auseinandernehm-Avantgardismus weiter, getreu der Devise: bumm bumm bumm, jetzt sind wir alle mal ganz nachdenklich.
Ihr drittes, auf einen Titel verzichtendes Album läßt sich da weiterhin nicht lumpen: Knochen=Girl klingen wie üblich brachial und diszipliniert und niemals free. Musik ohne Freiräume und ohne Schleimspuren. Gespielt, wie es scheint, von sehr zwanghaften Charakteren, die oft öde, angestrengt um Bewegung bemühte Lärm-Kolonnen aneinanderreihen: Eins zwei drei, vor und zurück, und fertig ist das Lärmkunststück.
Und trotzdem: Ein bißchen sorgen sich auch Knochen=Girl um Freundlichkeit. Wenn das weibliche Bandmitglied hell ins gesangliche Geschehen eingreift wie in „Billy Bee“ und „Erleuchtung“. Mit ein bißchen Phantasie läßt sich da auch über Pop reden. Der Rahmen aber ist trutzig, hermetisch. Wer des Band-Masters Mario Mentrup Magazin Bubizin/Mädizin kennt und schätzt, möchte ihn mal einen lockeren, lustigen, ruhig peinlichen Umgang mit allem wünschen. Selbst wenn zum Anschluß noch, nach dem grausamsten Schlepp- Noise-Song des gesamten Albums, der gespielte Witz kommt und „eigentlich der beste Song gekommen wäre“: Da hören Knochen=Girl jedoch auf, und dann ist Stille und Frieden in der Hinterhauskemenate. Diese Platte hört man selten bis gar nicht, nicht wirklich.
Eine andere Stadtblüte schimpft sich kryptisch „Irrgardn“ und fischt trübe an Nicht- Orten: „wir sind nirgends“ betitelt diese Band ihr Album. In ihren Songs drechseln Irrgardn selbst aus solch ach so labyrinthischen Sprachverirrungen wie dem Titel noch ein paar Bedeutungen, Wortkaskaden, „Diskurse“. Irrgardn versuchen Weltschmerz und Germanistik und Pop in Einklang zu bringen: Fühlen liebelos, hassen Kontrolle, kennen Fehlfarben und Sonic Youth und nennen zudem ihre Musik frank und dräuend KrachKrautAgitPop.
So arg ist es aber nicht, eher fühlt man sich in den besseren Momenten des Albums an die leider verblichene Südbadener- Combo Kissin Cousins erinnert, oder, besonders wenn der Sänger so ganz nackt und blechern umkippend seine Reime in den Raum schreit, an den kolossalen Jungen Kristof Schreuf. Ist bloß alles ein bißchen traurig und düster, was die hier von sich geben. Wenig Streifen am Horizont ziehen auf, verloren sind Irrgardn im eigens eingezäunten Pflichtgarten. Text ist halt doch mehr Messer und weniger Party und darf ja niemals eine hirnlose Lockerheit vorspielen! Was u.a. soviel heißt wie: „Ich kann nicht mehr ich bleib zurück .../ und wenn du Utopien suchst/ Kampf der Macht und nicht dem Mensch/ ich glaub nicht mehr an diesen Mensch“. Gerrit Bartels
Knochen=Girl: dito (Fidel Bastro/Efa)
Irrgardn: „Wir sind nirgends“ (Goldrausch Tonträger, Brunnenstraße 182)
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