: In England läuft alles viel besser
Und es kommt doch was aus Berlin. Zum Beispiel: 18th Dye, Songarchitekten & Lärmarrangeure ■ Von Thomas Winkler
Viele Menschen lesen gern ein wenig, bevor sie ihre Gedanken der Nacht überantworten. Das ist bei Sebastian Büttrich nicht anders. Neben seinem Bett liegt ein Band über die Architektur des 20. Jahrhunderts.
Wenn er nicht schläft, ist Büttrich Gitarrist der Berliner Band 18th Dye. Als solcher zeichnet er für die Grundideen der meisten Songs des Trios verantwortlich. Nur daß Büttrich Bassistin Heike Rädeker und Trommler Piet Breinholm Bendtsen im Übungskeller nicht etwa mit einem Gitarrenriff oder einer Textzeile konfrontiert, sondern mit Zeichnungen aus geometrischen Figuren, Songarchitekturen, die er – oft am Computer – anfertigt: „Am Anfang gibt es eher eine Zeichnung als eine Melodie.“ Bis vor kurzem war er hauptberuflich Physiker und „diese abstrakte Herangehensweise kann schon mit der Physik zusammenhängen“.
Aber erst mal hat Büttrich die Physik aufgegeben. Das ganze Trio hat sich zur gemeinschaftlichen Arbeitslosigkeit entschlossen, denn kein Arbeitgeber würde eine dreimonatige Konzertreise mittragen. Jetzt, pünktlich zum Erscheinen ihrer von Steve Albini produzierten dritten Platte, wollen sie versuchen, ganz von der Musik zu leben. Der Hauptmarkt liegt dabei nicht in der Heimat, denn als in England ihre ersten beiden Platten „Done“ und „Crayon“ erstmals veröffentlicht wurden, „haben wir dort in den ersten zwei Wochen fast soviel verkauft wie in Deutschland insgesamt.“ Diese Tatsache findet Büttrich besonders befriedigend, hat man sich doch in den letzten Jahren mit allerlei deutschen Kritikern herumschlagen müssen, die ihnen vorwarfen, nicht den Weg der Hamburger Szene um Blumfeld (mit denen man übrigens befreundet ist) gegangen zu sein und auf deutsch zu singen: „Wir bekennen uns dazu, daß wir anglo- amerikanisch aufgewachsen sind. Viele haben gesagt, ihr macht Musik aus zweiter Hand und daß wir in den Ländern, wo das herkommt, nie eine Chance hätten. Und eigentlich war es umgekehrt, in Amerika und England läuft es sehr viel besser.“
Aber „die erste Euphorie“ in fremden Ländern ist vorbei, mit dem neuen Album „Tribute To A Bus“ haben die Engländer leichte Schwierigkeiten, weil 18th Dye nach den beiden sehr erfolgreichen Singles „Whole Wide World“ und „Dive“ in der Schublade Indie-Pop gelandet waren: „Jetzt fragen sie uns, warum wir es uns so kompliziert machen.“ Trotzdem sollte der Status in Britannien bei der Tour im März und April ausbaufähig sein. Radio-Papst John Peel hat bereits zur zweiten BBC-Session eingeladen, und „wenn Peel die Platte spielt, merkt man das sofort“. Nach heimatlichen Auftritten im Mai sollen im folgenden Monat die USA weiter beackert werden. Dort haben sie im letzten Herbst einige sehr erfolgreiche Auftritte im Vorprogramm von Yo La Tengo oder Stereolab und eine Aufnahmesession für ein College-Radio absolviert.
Der soviel größere Erfolg im Ausland hat auch mit ihrem Gebrauch der englischen Sprache zu tun. Der New Musical Express erfreute sich an der „Schönheit, die Sprachbarriere zu manipulieren“. Die Texte, meistens von Sebastian geschrieben, sind – man kann es kaum anders sagen – kryptisch, auch wenn sie in persönlichen Zusammenhängen, im Bandgefüge sehr konkrete Bedeutungen haben, denn „wir sagen immer ein bißchen weniger, als notwendig wäre. Aber die Texte stehen ausdrücklich nicht nur als Klang. In jedem Satz hast du Untertöne und Nebenaskepte, und die sind auch alle drin.“ Ebenso wie die Konnotationen, die sich nach 30 oder 40 Jahren Rezeption englischsprachiger Popmusik in Deutschland ergeben. Während Blumfelds Jochen Distelmeyer ausdrücklich alle diese Verschlüsselungen und Codes in seinen Texten diskutiert, läßt Büttrich seine Worte als Hintergrundfolie schwingen, auf der sich der einzelne Zuhörer und seine persönliche Pop-Geschichte abbilden können.
Ähnliches geschieht mit der Musik. Im ersten Moment erinnern 18th Dye sehr an Sonic Youth. Jeder Artikel über sie wartet mit dieser Referenz auf, auch wenn Rädeker auf die Feststellung Wert legt, daß sie Sonic Youth „wie alle Idioten“ erst sehr spät, nämlich mit deren Platte „Goo“ kennenlernte. Wer aber genauer hinhört, kann feststellen, daß es in ihrer Absicht liegt, „mit Zeitskalen rumzupfuschen, die Leute zu irritieren und aus ihren Hörgewohnheiten rauszureißen.“ Sie benutzen sehr klassische Stilmittel der Rockmusik, die abrupten Wechsel zwischen Laut und Leise, Strophe und Refrain, Liebreiz und Noise. Aber so, wie in einem Italowestern jede Einstellung zwei Sekunden zu lang ist und die Genre-Rituale klischiert werden, setzen 18th Dye jedes dieser Elemente einen Tick zu ausführlich ein: Da ist dieses Intro zu lang, jener Lärmanfall will gar nicht mehr enden, erst sind sie kaum mehr zu hören, dann bersten die Boxen. Aber immer funktionieren 18th Dye auch noch ganz einfach wie Musik in einem Grenzbereich zwischen Rock und Pop. Was sie zu der Band macht, die hierzulande am besten mit Monotonie und Noise umgehen kann, bringt Rädeker auf den Punkt: „Wenn es uns langweilt, versuchen wir uns selber zu überraschen.“
18th Dye: „Tribute To A Bus“, Community/ IRS. Tourdaten: 2. 4. Bremen, 3. 4. Köln (im Vorprogramm von Steve Albinis neuer Band Shellac), Headliner-Tour: 29. 4. Potsdam, 3.5. Magdeburg, 4. 5. Bremen, 5. 5. Köln, 6. 5. tba, 8. 5. Hamburg, 9. 5. Dresden, 10. 5. Leipzig, 11. 5. München, 12.5. Konstanz, 13. 5. Marburg, 15. 5. Stuttgart, 16. 5. Frankfurt/Main, 17. 5. Münster, 18. 5. Gelsenkirchen, 19. 5. Hannover, 20. 5. Enger
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