An der Grenze geboren

■ Gesichter der Großstadt: Der sechsundachtzigjährige Schriftsteller Jan Koplowitz hat sich von einem Leben zwischen ideologischen Stühlen nicht unterkriegen lassen

Schneeweiße Mähne, kleine blitzende Äuglein – so sitzt Jan Koplowitz mir gegenüber in seinem gemütlichen Mansardenzimmer direkt unterm Dach. Die Idealbesetzung für die Gottvaterrolle – wenn er denn schwiege. Der mittlerweile 86jährige aber redet so munter, wie er sein ganzes Leben schon geredet und vor allem geschrieben hat.

Jan Koplowitz gehörte zur literarischen Elite der Ex-DDR. Als jüdischer Intellektueller setzte er sich immer wieder – hin- und hergerissen zwischen der Loyalität eines staatlichen Kulturfunktionärs und der Umtriebigkeit eines weltoffenen Kosmopoliten – zwischen die ideologischen Stühle.

Grenzüberschreitungen waren sein Thema von Anfang an: Geboren 1909 in einem jüdischen Hotel unmittelbar an der Grenze, deren Schlagbaum und Beflaggung in den kommenden vier Jahrzehnten viermal die Farbe wechselte (heute gehört sein Geburtsort Kudowa zu Polen), entging er der frühen, aus familiärem Erbkalkül erwachsenen Bestimmung zum Rabbiner durch Austritt aus der jüdischen Gemeinde als gerade 14jähriger und wurde mit dem Totengebet (Kaddisch) bestraft.

Als Atheist und Kommunist war er Schüler von Egon Erwin Kisch und Ilja Ehrenburg und sah seine Aufgabe darin, als sogenannter „Volkskorrespondent“ Unterprivilegierten das Schreiben beizubringen. Die Arbeit am Roman „Behemia“ verhalf ihm in den fünfziger Jahren über ein vierjähriges Studium der Judaica zu einem erneuten Eintritt in die (diesmal liberale Westberliner) jüdische Gemeinde, trug ihm aber im weiteren Verlauf seines Lebens auch jede Menge Schmähungen ein. Der Roman, der eine autobiographisch geprägte Schilderung des kosmopolitischen jüdisch-deutschen Urlaubslebens im Kurort Kudowa enthielt, wurde von der DEFA verfilmt und im Hinblick auf eine antizionistische Stoßrichtung so weit verfälscht, daß Koplowitz schließlich jeden Einfluß auf die Gestaltung verlor – aber dennoch in der jüdischen Weltöffentlichkeit als geistiger Urheber des filmischen Machwerks galt.

Nachdem orthodoxe jüdische Schläger ihn 1975 während eines Israelaufenthaltes in einem Hotelzimmer bedrohten, unternahm er einen Suizidversuch. Am Krankenbett in der Charité erhielt sein kämpferischer Lebensgeist jedoch Nahrung durch eine unerwartete Hiobsbotschaft: Sein Sohn Daniel, der seit den sechziger Jahren als Hippie durch den Orient tourte, war mit einer Gitarre voller Haschisch an der türkischen Grenze erwischt worden. Ihm drohte ein Todesurteil, das später zu einer lebenslänglichen Haftstrafe umgewandelt wurde. Das mobilisierte den Vater, unter Umgehung sämtlicher Devisengesetze der DDR eine wertvolle Sammlung von Schellackplatten und seine Bibliothek an Westberliner Antiquare zu verhökern und sich darüber hinaus zu verschulden, um im Laufe der folgenden Jahre einen türkischen Rechtsanwalt und den Lebensunterhalt seines Sohnes bis zu dessen vorzeitiger Entlassung zu finanzieren.

Die Verschuldung hatte auch eine moralische Seite namens Stasi. Um eine Aufenthaltsgenehmigung für den schlecht beleumundeten Sohn im Arbeiter- und Bauernstaat zu bekommen, willigte Koplowitz ein, Schriftstellerkollegen zu bespitzeln. Als die Sache aufflog, bescherte sie ihm allerdings noch einmal eine Hetzkampagne, an der sich sogar sein Sohn beteiligte. Inzwischen haben sie sich wieder vertragen.

Koplowitz ist noch immer voller Tatendrang. Daheim vor dem Computer beim Verfassen seines autobiographischen Romans „Daniel in der Löwengrube“, als Mentor eines Pankower Literaturzirkels und Mitglied des Anti-Eiszeit- Komitees, das zwischen PDS und SPD vermitteln will. Vor nicht allzu langer Zeit stand er mitten in der Nacht vor dem Mikrofon in einer nahe gelegenen Disco, um Prügeleien zwischen Skins und Ausländern zu verhindern. Ulf Mailänder