„Bibliothek“, Denk-Ort der Sprachlosigkeit

■ Bebelplatz: Mahnmal für die Bücherverbrennung 1933 wird heute enthüllt

Der Blick fällt in den Abgrund, in einen leeren Raum. Herauf steigen wortlos Spiegelbilder vernichteter und abwesender Kultur. Micha Ullmans Denkmal „Bibliothek“, das heute zur Erinnerung an das faschistische Studentenspektakel „Aktion Bücherverbrennung wider den undeutschen Geist“ enthüllt wird, zieht den Blick in die Tiefe.

Mitten auf dem Bebelplatz an der Straße Unter den Linden bietet sich dem Betrachter jetzt ein großer unterirdischer Raum durch ein begehbares Glasfenster dar, unter dem eine leergeräumte verschlossene Bibliothek sichtbar wird. In den Regalen stehen keine Bücher. Das Wort, die Poesie und die kulturelle Identität sind abwesend.

62 Jahre nach der Aktion Bücherverbrennung hat der israelische Künstler ein deutliches und zugleich metaphorishes Denkmal geschaffen, das allein durch seine suggestive Wirkung zur Besinnung gemahnt.

Die leere Bibliothek inmitten der Stadt verweist zum einen ganz präzis auf jene historischen Ereignisse in der Nacht vom 10. Mai 1933. Damals waren in Berlin und anderen Universitätsstädten vor den Augen der Öffentlichkeit Bücherberge in Flammen aufgegangen: darunter die Werke Heinrich Manns, Bertolt Brechts, Arnold Zweigs, Lion Feuchtwangers und Erich Kästners. Kästner stand damals ohnmächtig und widerspruchslos inmitten der brüllenden Menge, die den Verfemten aber nicht erkannte.

Raum der Stille

Zum anderen, sagt Ullman, bedeute dieser „Denk-Ort“ aber nicht nur die Abwesenheit der Bücher und ihrer Produzenten. Der Raum der Stille ermögliche auch die Meditation des Betrachters, um Gedanken über die Fragilität und Verletzlichkeit unserer Kultur insgesamt zu entwickeln.

Das „unpathetische Denkmal“, das den Autostellplatz zwischen Opernhaus und Humboldt-Universität verdrängen soll, ging aus einem von der Senatsbauverwaltung 1993 ausgelobten Wettbewerb hervor. Ullman konnte sich damals gegen 22 Konkurrenten durchsetzen. Die architektonische Umsetzung der Ullman-Idee nahm in beinahe einjähriger Bauzeit der Berliner Architekt Andreas Zerr vor.

Micha Ullmans „Bibliothek“ reiht sich ein in eine aktuelle Folge von Berliner Denkmälern für die Opfer des Nazi-Terrors, die sich von aufgesockelten und theatralisch inszenierten Monumenten verabschiedet hat. Artistisch gestaltete „Denk-Orte“ bestimmen den Raum.

Die eigene Geschichte soll den Menschen und Orten zurückgegeben werden. Diese neue Strategie der Kunst-Denkmäler führt den Betrachter auf den unsicheren Boden der Selbstbefragung, der Assoziation und des eigenen Nachdenkens. Micha Ullmans abstrakte „Bibliothek“ als in die Erde versenkter Ort des Schweigens führt die Erinnerung an diesen Ort zurück und darüber hinaus. Rolf Lautenschläger