Doof sind immer die anderen

■ ARD und ZDF räumten auch beim 31. Adolf-Grimme-Preis des Volkshochschulverbands kräftig ab

Eine kleine Korrektur vorweg. Die blonde Redakteurin saß am Freitag nicht, wie von Herrn Keller am Samstag in seinen taz-Couch- Potatoes beschrieben, bei Grimmes im Marler Stadttheater. Sie hatte nämlich die Grippe und saß deshalb daheim vor ihrem Fernseher und schaute dem Ereignis auf die fernsehtechnisch eigentlich einzig korrekte Weise zu: mit Nasivin im Kopf, Chips in der Hand – und also von ferne.

Und vielleicht war das gar nicht so falsch, macht die mediale Distanz den Kopf doch erst so richtig frei (wie Nasivin die Nase) und schafft Raum für die zentrale Frage des Abends: Warum machen die das eigentlich?

Sie machen es natürlich, weil es den Preis schon gibt, und den Preis gibt es, damit das Fernsehen als kulturell preiswürdig gelten kann, und das Fernsehen ist kulturell preiswürdig, solange es die ARD gibt, und die ARD darf nicht sterben, damit die Grimme-Preise nicht an die Privaten verschenkt werden müssen, und deshalb ist jetzt noch einmal bewiesen, daß Kohl doof ist, und überhaupt soll es ein schöner Abend gewesen sein. Jedenfalls für die Preisträger.

Und trotzdem bleibt ein Rest des Zweifels. „Wir sind die Doofen“, erklärte Wigald Boning, der für RTL den einzigen Preis errang, den das Grimme-Institut für die Privatsender übrig hatte. Damit hatte er leider den Nagel auf den Kopf getroffen: Die Doofen, das sind nämlich immer die anderen. Weil die Guten immer noch öffentlich-rechtlich sind. Und die Volkshochschule muß es ja wissen, bildet sie schließlich das Volk, das sonst womöglich noch mehr RTL und Sat.1 schauen würde. Und das kann Adolf Grimme, erster Generaldirektor des ersten öffentlich- rechtlichen TV-Senders NWDR, schließlich nicht gewollt haben.

Und so suchen die Juroren jedes Jahr akribisch aus dem ewig gleichen Programmfluß diejenigen Sendungen aus, die „die spezifischen Möglichkeiten des Fernsehens auf hervorragende Weise nutzen und innovative sowie qualitative Anstöße geben“. Und dann bekommt eben Ulrich Plenzdorf einen Preis für „Liebling Kreuzberg“ mit der Begründung, er habe unter Beweis gestellt, daß eine Serie auch in der vierten Staffel noch mit Überraschungen aufwarten könne.

Natürlich ist das nicht falsch. Aber richtig ist es irgendwie auch nicht. Denn wenn das mit den „Überraschungen“ ein Kriterium für TV-Preiswürdigkeit ist, muß man dann nicht endlich auch Linda de Mol zur Kenntnis nehmen, die mit ihrer „Traumhochzeit“ die deutschen Intellektuellen vielleicht viel mehr überrascht hat als alles andere? Und war Marcus Peichls „Das wahre Leben“ nicht auch irgendwie anstößig für das deutsche Fernsehen? Und haben ARD und ZDF nicht mit ihren Daily Soaps die RTL-Vorlage „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ in all ihrer Banalität und handwerklichen Dürftigkeit derart deutlich kopiert, daß man mit Fug und Recht behaupten kann, die Kölner hätten neue qualititive Standards für das Fernsehen vorgegeben?

Aber so ist das mit dem „Hervorragen“ aus dem Programmfluß eben gar nicht gemeint. Wenn hier etwas hervorragen soll, dann die Qualität, deren Standards eben von jenen Kulturbürgern gesetzt werden, die es sich immer noch zugute halten, eigentlich kaum je Fernsehen zu gucken. Außer die wenigen „guten Dinge“, die man dann daran erkennt, daß sie in den Programmfluß des Fernsehens nicht mehr so recht hineinpassen, sich folglich im Quotengrab versenden und dafür wie zum Trost einen Grimme-Preis bekommen.

Zugegeben gefallen mir selbst solche Sendungen auch häufig besser als der „Marienhof“, mit dem übrigens nicht die doofen Privaten, sondern die „gute“ öffentlich- rechtliche ARD ihren Vorabend retten will. Und somit haben auch alle Preisträger ihren Grimme- Preis irgendwie zu Recht bekommen. Aber Kulturpreise, das sagt mir mein nasivingeschwängertes Gerechtigkeitsgefühl dann doch, dürfen trotzdem nicht immer nur Politik machen wollen. Sie müssen sich – neben allem anderen – auch ein wenig mit dem Fernsehen auseinandersetzen, so wie es ist: mit allen seinen guten und schlechten Zeiten. Klaudia Brunst