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■ Blitzkarriere eines BegriffsEine Nation auf dem Trittbrett

Die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ kann jubilieren. Ein vielversprechendes Jahr, dieses 1995: Kaum drei Monate alt und schon hat es einen Anwärter für das „Unwort des Jahres“ geboren – den Trittbrettfahrer.

Der Trittbrettfahrer, der gemeine, ist erstens männlich (hat man je von einer -fahrerin gehört?), zweitens einer, „der von einer Sache zu profitieren sucht, ohne selbst etwas dafür zu tun“ (Duden, 20. Auflage) und drittens im Gegensatz zum gemeinen Bei-, Geister- oder Schwarzfahrer von ausgemachter Bequemlichkeit und Feigheit. Zuerst ward der Trittbrettfahrer in der Gewerkschaft gesichtet. Das war Anfang des Jahres, als die Mitgliedszahlen sanken und die Lohnforderungen stiegen. Kein Dauerauftrag an die Kampforganisation der Arbeiterklasse, aber profitieren wollen von den erstreikten 3,4 Prozent! Kurz darauf erspähten auch die Kirchen den Schmarotzer. Nicht einen Pfennig in den Klingelbeutel, aber zu Weihnachten das Oratorium gehört und die tröstenden Pfarrersworte an Omas Sterbebett!

Einmal gesichtet, tritt und fährt es plötzlich durch alle gesellschaftliche Bereiche. Aber erst jetzt hat unser Bundespräsident uns das wahre Ausmaß des Problems vor Augen geführt: Beim Trittbrettfahren handelt es sich um ein deutsches Problem von nationaler Tragweite. Bei militärischen Kampfeinsätzen ducken wir uns in die Ecke, im „internationalen Konzert“ singt keiner richtig mit. Die Deutschen, ein einzig Volk auf schmalem Brett, fröhlich vorbeisausend an all diesen schrecklichen Kriegen, immer auf dem Absprung vor jeder Karambolage, die Finger am Haltegriff und nie am Gewehrabzug.

Bisher hatten wir geglaubt, die deutsche Weigerung, den militärischen Zug zu besteigen, resultiere aus einem selbstauferlegten Fahrverbot wegen vergangenen, rüpelhaften Verhaltens – falsch. Es war der Trittbrettfahrer in uns, der uns zur feigen Zurückhaltung zwang. Und den gilt es schleunigst zu überwinden. Hat unser Präsident beschlossen und ultimativ verkündet: „Das Ende des Trittbrettfahrens ist erreicht!“ Mögen pingelige Sprachforscher noch grübeln, ob da jemand das Trittbrett mit der Fahnenstange verwechselt hat – die Botschaft ist unmißverständlich: eingestiegen, die Herrschaften mit den grauen Bundeswehruniformen. Von wegen – bezahlt wird nicht! Der Fahrpreis kostet „Leib und Leben“. Und wenn wir erst abgestiegen sind vom kollektiven Trittbrett der Nation, schreiten wir endlich erhobenen Hauptes durch die internationale Staatengemeinschaft, zahlen pünktlich unseren Gewerkschaftsbeitrag und brav auch die Kirchensteuer und fürs kommende Jahr üben wir schon mal das neue „Unwort“ ein: „Zinksarg“. Vera Gaserow

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