Chance für Aussöhnung in Osteuropa

■ Auf der „Europäischen Stabilitätskonferenz“ in Paris wird über einen ungarisch-rumänischen Vertrag verhandelt

Budapest (taz) – In Osteuropa steht eine historische Aussöhnung bevor – die zwischen Ungarn und seinen Nachbarländern. So jedenfalls will es die Ankündigung für die „Europäische Stabilitätskonferenz“, die heute und morgen in Paris stattfindet. Auf Initiative des französischen Ministerpräsidenten Edouard Balladur werden die Teilnehmer aus 52 Staaten vor allem über ungeregelte Grenz- und Nationalitätenfragen in Mitteleuropa und dem Baltikum diskutieren und einen „Stabilitätspakt“ unterzeichnen.

Gleichzeitig sind die osteuropäischen Länder aufgefordert, diese Absicht in bilateralen Grundlagenverträgen zu bekräftigen. Das haben Ungarn und die Slowakei nun getan: Gestern unterzeichneten sie in Paris den umstrittenen Grundlagenvertrag. Zwischen Ungarn und Rumänien steht eine Einigung dagegen noch aus, eine Unterzeichnung des Vertrages in Paris halten beide Seiten aber für möglich.

Die Überraschung wäre freilich groß, so wie auch der schnelle Verhandlungserfolg mit der Slowakei überrascht: Denn Ungarn einerseits und Rumänien und die Slowakei anderseits liegen seit Ende des Ersten Weltkriegs im Streit. Ungarn verlor mit dem Vertrag von Trianon zwei Drittel seines Territoriums, wobei Hunderttausende Ungarn über Nacht zu einer Minderheit wurden. Vor allem in Rumänien und der Slowakei fühlen sie sich seitdem der Assimilation ausgesetzt. Rumänien und die Slowakei dagegen warfen Ungarn Eroberungsgelüste vor. An der Frage der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Minderheitenrechte für die zwei Millionen rumänischen und 600.000 slowakischen Ungarn scheiterten bisher auch die Unterzeichnung der Grundlagenverträge.

Daß sich Ungarn und die Slowakei einigen konnten, erklärt sich vor allem mit dem Druck aus der Europäischen Union. Sie hat den Abschluß der Grundlagenverträge zur Vorbedingung für Beitrittsverhandlungen gemacht. Vor allem Ungarns sozialistische Regierung unter Premier Gyula Horn steht dabei zwischen zwei Stühlen: Gegenüber der EU muß das Land Kompromißbereitschaft in der Minderheitenfrage zeigen, während Vertreter der ungarischen Minderheiten in Rumänien und der Slowakei fürchten, „vom Mutterland verkauft“ zu werden.

Am Donnerstag legten Ungarn und die Slowakei auch den letzten Streitpunkt des Vertrages bei: den um die Minderheitenrechte. Der slowakische Regierungschef Vladimir Meciar akzeptierte einen Passus, dem eine Empfehlung des Europarates zugrunde liegt. Diese gesteht Minderheiten lokale Selbstverwaltung zu. Rumänien dagegen lehnt einen solchen Passus ab und beruft sich auf die „Europäische Konvention zum Schutz von Minderheiten“. Sie wurde im Februar von allen europäischen Staaten unterzeichnet und überläßt den Minderheitenschutz dem guten Willen der jeweiligen Länder.

Vertreter der rumänischen Ungarn sehen ohnehin wenig Chancen, den ungarisch-rumänischen Vertrag abzuschließen, solange an der gegenwärtigen Regierungskoalition in Rumänien extremistische und nationalistische Parteien beteiligt sind. Auch Vertreter der slowakischen Ungarn haben Kritik an der Unterzeichnung des Vertrags geübt: Mit der nationalistischen Koalition unter Regierungschef Meciar sei die Erfüllung von Minderheitenrechten ernsthaft bedroht. Keno Verseck

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