Zu alt für MTV

■ Heute geht der neue Videoclipkanal Viva2 auf Sendung Programmdirektor Steve Blame über die anvisierte Zielgruppe

Interviews gibt er zwar immer noch in Englisch, aber das dem britischen Programmdirektor Steve Blame (36) eingebleute Deutsch reicht immerhin schon zum Party- Smalltalk. Viva2 richte sich an Musikfans zwischen 25 und 49, die „aus Viva herausgewachsen sind“, erklärt der ehemalige Nachrichtenchef von MTV Europe. Sein Videoclipsender Viva2 gehört zum größten Teil vier der fünf größten Musikkonzerne der Welt: Sony Music, EMI Electrola, PolyGram und Warner Music halten jeweils 19,8 Prozent, weitere 19,8 Prozent gehören dem Hamburger Medienunternehmer Frank Otto, ein Prozent hält die Viva Medien GmbH.

taz: Wieso braucht Deutschland nach MTV, Viva und VH-1 noch einen vierten Musiksender?

Steve Blame: Wir richten uns an die 25- bis 49jährigen, die schon seit 30 Jahren Musik hören. Die sind zu alt für MTV und Viva. Wenn man im Fernsehen Künstler und Musiker interviewt, ist das doch meist nur Promotion. Ich glaube, daß es für unsere Zielgruppe nicht mehr interessant ist, daß Tina Turner eine neue Single veröffentlicht hat. Unsere Zuschauer interessieren sich eher für sie als Mensch.

Wissen das Ihre Geldgeber schon?

Natürlich ist Viva auch ein Marketinginstrument, genauso wie jeder Radiosender auch. Wenn die Leute da ein Stück hören, das ihnen gefällt, kaufen sie es eben. Das muß ich aber nicht noch die ganze Zeit unterstreichen.

Seit kurzem gibt es schon einen Musiksender für dieselbe Zielgruppe wie Viva2: VH-1, der in Hamburg vom MTV-Mutterkonzern Viacom speziell für den deutschen Markt gemacht wird.

Es kann sein, daß beide Kanäle erfolgreich sind. Es kann auch sein, daß einer der beiden Sender erfolgreicher wird. Wir werden in einem Jahr sehen, wie den Leuten unser Programm gefällt.

MTV-Sprecher Stefan Vogel hat Sie in der Presse kritisiert...

Den kenne ich überhaupt nicht!

...und Michael Oplesch von VH-1 hat gesagt: „Viva2 kopiert und macht es schlecht.“

Es schmerzt mich persönlich, daß ich in eine Auseinandersetzung „Steve Blame gegen Viacom“ hineingeraten bin. Mich haben sogar ehemalige Kollegen von MTV angerufen, um mir zu sagen, was für ein Quatsch das ist. Vielleicht kritisieren die mich einfach, weil sie wissen, daß ich gut bin. Ich war siebeneinhalb Jahre bei MTV, und ich finde es reichlich merkwürdig, wenn jetzt auf einmal negative Sachen über mich gesagt werden. Wenn die mich damals bei MTV nicht gut fanden, warum haben sie mich dann nicht rausgeworfen?

Woher wollen Sie als Engländer wissen, welche Musik deutsche Fernsehzuschauer mögen?

Ich habe ein Team aus 16 deutschen Mitarbeitern, von denen hänge ich ab. Ich bin erst drei Monate hier. Ich lerne die Sprache, ich versuche, das Land zu verstehen, aber das kann vielleicht noch zwanzig Jahre dauern. Ich kann nicht so tun, als wüßte ich über alles hier Bescheid. Das wäre ziemlich imperialistisch. Mit Viva2 können wir nur Schritt für Schritt vorgehen und sehen, was bei unserem Publikum ankommt.

Haben Sie professionelle Marktforschung betrieben?

Was die Musik betrifft, werden wir von Beratern aus dem Management von Frank Otto unterstützt. Wenn man einen Sender wie Viva2 startet, muß man klein anfangen. Wir haben keine Studien über den deutschen Markt und den Musikgeschmack unserer Zielgruppe gemacht. Das wird ein interessantes und erleuchtendes Experiment.

Und wie wird das aussehen?

Im Augenblick arbeite ich an der Sendung „Geschmackssache“. Da sollen berühmte Leute, zum Beispiel Henry Maske, Herbert Grönemeyer und Holly Johnson, ihre eigene Lieblingsmusik vorstellen und zeigen, was die mit ihrem Leben zu tun hat. Das Interessante dabei ist, daß die Musik ganz anders ist, als man es von diesen Leuten erwartet hätte.

Soll Viva2 über ein Staraufgebot funktionieren?

Nein. Unsere Zuschauer sind keine Teenager mehr, die nur Stars wollen. Das heißt aber nicht, daß es so anspruchsvoll sein muß, daß es das halbe Land nicht mehr versteht. Aber etwas mehr Abwechslung können wir uns schon leisten.

Apropos „verstehen“: Wie sieht es nach drei Monaten in Köln mit den Deutschkenntnissen aus?

In den ersten Wochen habe ich jeden Tag acht Stunden Deutsch gepaukt. Jetzt lerne ich die deutschen Medien von ganz unten kennen: Das erste, was ich verstanden habe, waren die Überschriften in Bild. Dann konnte ich die Artikel lesen. Als nächstes habe ich angefangen, die Fernsehwerbung zu verstehen, dann die deutschen Synchronfassungen von „Raumschiff Enterprise“, weil ich die Serie aus England kannte. Jetzt bin ich immerhin schon bei „Der Preis ist heiß“ angekommen. Interview: Tilman Baumgärtel