: Kultur versus Kultur versus Chaos
■ Mark Terkessidis' „Kulturkampf“ liefert eine erste umfassende Studie über die Geschichte, die Konzepte und die Strategien der „Neuen Rechten“ in Deutschland
Seit Jahren kann man in jenem unscharf definierten Bereich der Kultur, der allgemein als „Subkultur“ oder „Underground“ bezeichnet wird, die Rückkehr „harter“ Themen feststellen. Mark Terkessidis, der Anfang der neunziger Jahre zwei Jahre lang als Redakteur der Musikzeitschrift SPEX gearbeitet hat und jetzt die erste umfassende Studie über die sogenannte Neue Rechte vorlegt, beschreibt den Umbruch so: Anfang der Achtziger gab es zwei Strategien subkultureller Abweichung – „Subversion“ und „Autonomie“. Beide Strategien sind, so Terkessidis, irgendwann Ende der Dekade gescheitert. Die glamouröse Pop- Ironie lief leer, das alternative Netzwerk der „Independent“- Szene wurde zu Teilen ans Zentrum der Industrie angeschlossen. Die Schärfe der Abgrenzung ging verloren. Diese Darstellung kann erklären helfen, warum das Auftauchen von Nazi-Rock einen Schock im „Underground“ ausgelöst hat. Indem hiermit ein Phänomen in den Blick geriet, „das man nicht mehr in der bisherigen Ordnung kulturell-symbolischer Kämpfe sehen“ konnte, „da diese Musik mit der Macht konform war“, wurde die Orientierungslosigkeit des Underground selber offenbar. In der ersten Panik nahmen manche „Abschied von der Jugendkultur“. Andere begannen, nach Chancen einer Repolitisierung der Debatten zu suchen, die hierzulande als „Kulturkampf“ geführt werden. Mark Terkessidis' Buch ist ein Zeugnis der letzteren Bewegung.
Kann Terkessidis erklären, was die Neue Rechte ist? Was „neu“ und was „rechts“ ist an jenem intellektuellen Feld, das Zeitschriften wie Mut, Criticon, Staatsbriefe und Junge Freiheit markieren? Denn die Verschiebungen des intellektuellen Feldes, nicht die vieldebattierte rechte „Szene“, sind sein Thema. Zunächst einmal klärt er die Zusammenhänge zwischen unserer Neuen Rechten und dem technokratischen „Nachkriegskonservatismus“ der Schmitt, Freyer und Schelsky einerseits und den Kulturkampfkonzepten der zentralen Figur der französischen „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist. Die kenntnisreiche Darlegung dieser intellektuellen Quellen hat einen eher entdramatisierenden Effekt, das eigentlich Neue unserer rechten Intellektuellen verliert sich in einem Netz von Bezügen und Herleitungen. (Was kein geringer Ertrag wäre.)
Aber das ist ein grundsätzliches Problem des Typs von Ideengeschichte, den Terkessidis betreibt. Wer die Genealogie der Neuen Rechten schreiben will, muß sich mit Wertungen zurückhalten und zunächst einmal alle Belege zulassen. Und so wird gezeigt, wie Alain de Benoist sich Gramscis Hegemoniemodell aneignete, wie Lévi- Strauss' Aufsatz über „Rasse und Kultur“ die Nouvelle Droite inspirierte, wie Herders Idee von einer Pluralität der Kulturen verzerrt im Kampfbegriff „Ethnopluralismus“ wieder auftaucht. Das ist alles sehr lehrreich zu lesen. Aber manchmal wünschte man doch einen stärker einordnenden Zugriff. Terkessidis läßt sich von den Selbstbeschreibungen der Exponenten der Neuen Rechten manchmal zu leicht beeindrucken.
Sehr instruktiv ist die Unterscheidung der verschiedenen Färbungen des Begriffs „Differenz“, der als Kampfbegriff von links (von der Frauenbewegung bis zu Black Power) wie von Rechts (gegen „Kulturvermischung“) benutzt wird.
Ebenso hilfreich die drei Oppositionen, in denen Terkessidis den rechten Kulturbegriff bestimmt: erstens Kultur versus Chaos, zweitens Kultur versus Kultur, drittens Kultur versus Zivilisation. Die erste Opposition operiert mit einem Hobbesschen „Naturzustand“, einer Folie, die „je nach Bedarf über die konkrete historische Situation ausgebreitet wird, um die Notwendigkeit von Kultur, hier verkörpert durch den starken Staat und straffe Institutionen, zu legitimieren“. Die zweite Opposition entspricht der bereits erwähnten „ethnopluralistischen“ Ideologie: „Kultur wird als ethnisch und homogen gedacht, als kollektivierendes Schicksal, in das der einzelne ,genetisch‘ durch Mythen der Abstammung, Sprache, Geschichte etc. eingeschmolzen ist. Sie gewinnt ihre Kontur in einem ,Pluriversum‘ der Abgrenzung von anderen Kulturen. Die spezifische Bedrohung zwischen den Kulturen ist die ,Mischung‘ zwischen ihnen, die ,Überflutung‘. Durch die dritte Opposition wird die ,besondere‘ Kultur vom ,abstrakten‘ Universalismus geschieden. [...] Kultur ist die tatsächliche Individualität, die die einzelnen bindet, sie ist das Antidot gegen die atomisierte, liberale Einsamkeit und Angst.“
Mark Terkessidis glaubt, die Linke werde bald wieder „notwendig an Boden gewinnen“. Seine Abschreitung des Terrains der ideologischen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre ist ein höchst nützliches Vademecum auch für diejenigen, die daran noch nicht so recht glauben mögen. Jörg Lau
Mark Terkessidis:
„Kulturkampf.
Volk, Nation, der Westen
und die Neue Rechte“.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 1995,
290 Seiten,
29,80 Mark
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