Türkischer Einmarsch im Irak

■ Über 30.000 Soldaten überschreiten die Grenze zum Nachbarland / Einsatz der Luftwaffe / Offensive gegen Stützpunkte der PKK im nordirakischen Kurdengebiet

Istanbul (taz) – Kurz vor Beginn des kurdischen Neujahrsfestes Newroz sind gestern morgen Einheiten der türkischen Armee im Nordirak einmarschiert. Es handelt sich dabei um die größte Militäroffensive gegen den Irak seit dem Ende des Golfkriegs. Zwischen 30.000 und 35.000 Soldaten, die von der Luftwaffe unterstützt werden, sind amtlichen türkischen Angaben zufolge an der Militäroperation beteiligt. Ein Militärsprecher sagte, daß die Armee auf einer 220 Kilometer breiten Linie entlang der Grenze 40 Kilometer weit vorstoßen will, um Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzugreifen. Die kurdische Guerilla PKK, deren Basis türkische Kurden sind, kämpft seit 1984 gegen den türkischen Staat.

Der Sprecher des Generalstabes in Diyarbakir, Silahcioglu, begründete den Einmarsch damit, die irakisch-kurdischen Gruppen hätten die Kontrolle über das Grenzgebiet zur Türkei verloren und das Feld der PKK überlassen. Türkische Militärsprecher reden von 2.400 bis 2.800 PKK-Angehörigen, die sich im Nordirak aufhalten. Von dort aus drängten „Militante der separatistischen Terrororganisation“ – so die amtliche Bezeichnung für die kurdischen Guerilleros – auf türkisches Gebiet vor und verübten Terrorakte.

Durch den jüngsten Überfall auf die Armee-Einheit wurden erneut die Aussagen der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller, die bereits den „Sieg im Kampf gegen den Terrorismus“ und das Ende der PKK gefeiert hatte, in Frage gestellt. Der Umstand, daß sich PKK-Stützpunkte im Nordirak befinden, muß jetzt als Begründung dafür herhalten, daß die PKK noch nicht besiegt ist. Nach dem Ende des Golfkriegs hat die Türkei mehrfach „grenzüberschreitende Operationen“ im Nordirak durchgeführt. Dabei waren nicht nur PKK-Stellungen bombardiert worden. Auch kurdische Zivilisten kamen ums Leben, etwa bei Angriffen der türkischen Luftwaffe.

Ferhat Ataman, der Sprecher des türkischen Außenministeriums, sprach von einem „Autoritätsvakuum“ im Nordirak. Seit mehreren Monaten toben Kämpfe zwischen der „Patriotischen Union Kurdistans“ Dschalal Talabanis und der „Demokratischen Partei“ Massud Barzanis, zwei irakisch- kurdischen Gruppen, die um Vorherrschaft in dem Gebiet kämpfen. Der kurdisch-kurdische Krieg im Nordirak hat zur Erstarkung der PKK in der Region geführt. Ein Teil des kurdischen Nordirak ist seit dem Ende des Golfkriegs von den Alliierten zur Sicherheitszone mit Flugverbot erklärt worden, um die Kurden vor Luftangriffen des irakischen Diktators Saddam Hussein zu schützen.

Der Sprecher des Außenministeriums, Ataman, betonte, daß die Botschafter der alliierten Staaten, die die Schutzmacht für die irakischen Kurden stellen, und die EU- Botschafter vorab informiert worden seien. Die türkischen Truppen würden nicht Partei im Konflikt zwischen den irakisch-kurdischen Truppen ergreifen und wollten auch nicht die Politik im Nordirak bestimmen. An dieser Version sind jedoch erhebliche Zweifel angebracht. Seit längerem ist bekannt, daß türkische Militärs mit dem Kurdenführer Barzani zusammenarbeiten, während Talabanis „Patriotische Union Kurdistans“ verdächtigt wird, die PKK zu unterstützen. Ömer Erzeren