Privateigentum an der Ölkatastrophe

Die sowjetische Erdöl- und Erdgasförderung ist nach westlichem Vorbild in Konzerne aufgeteilt worden – seither wissen auch die Manager nicht immer, was ihrer Gesellschaft gehört  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die russische Ölindustrie verkauft sich an das Volk. Wladimir Bogdanow, Generaldirektor der sibirischen Ölgesellschaft Surgutneftegas, hat am 20. Februar die dritte Aktienemission durch die Investitionsgesellschaft „Zentrinvest-Securities“ angekündigt. Wenn Bogdanow nunmehr erstmals Aktien gegen Geld dem ganzen russischen Volk anbietet, so bedeutet dies, daß er seinen Konzern für konsolidiert hält – was keineswegs selbstverständlich ist.

In sowjetischer Zeit war der Komplex erdölfördernder und -verarbeitender Unternehmen durch eine Unzahl verschiedener Behörden und Ministerien verwaltet worden. Auf den Zerfall dieses Systems war zunächst eine gewisse Anarchie gefolgt, bis Ende 1992 Präsident Jelzin mit seinem Ukas Nummer 1403 eine neue gesetzliche Basis schuf. Danach sollten zunächst Holdinggesellschaften nach dem Vorbild internationaler Konzerne gebildet werden, die den gesamten Prozeß vom Bohrloch bis zur Zapfsäule unter einem Dach vereinen.

Viele Vertreter der russischen Erdölindustrie standen dieser Anordnung so ratlos gegenüber wie einst das russische Volk dem Versuch Peters des Großen, die Kartoffel im Lande heimisch zu machen. Von dem runden Dutzend der neuen Konzerne haben sich bisher nur vier als lebensfähig erwiesen: Lukoil, Jukos, Sidanko und eben Surgutneftegas. Aktien dieser Gesellschaften sind auf eher undurchsichtigen Wegen auf den Markt gelangt. Oft wußten die Manager selbst nicht so genau, wie groß ihr jeweiliges Imperium war. Männer wie Wladimir Bogdanow, die Öl-Macher der neuen Generation, mußten eine gute Portion Pioniergeist mitbringen.

Ausgegeben werden 282.064.241 Aktien, wobei die Pakete 100 Stück nicht überschreiten dürfen. Insgesamt wird der Wert dieser Papiere auf 46,3 Millionen Dollar geschätzt. Der aktuelle Kurs der Aktie beträgt 470 Rubel (etwa 15 Pfennig), Bogdanow glaubt, daß er bis auf umgerechnet 20 Mark steigen könnte.

Allerdings sind die angebotenenen Aktien nicht etwa Anteile an der Holding-Gesellschaft „Erdöl- Gesellschaft Surgutneftegas“, ihre KäuferInnen können sich lediglich an der „Surgutneftegas AG“ beteiligen, einer aus einem Dutzend Tochtergesellschaften, von deren Grundkapital fünf Prozent auf den Markt kommen.

In die übrigen Anteile teilen sich die Belegschaft (10 Prozent), Management (5 Prozent), die Holding (38 Prozent) und russische Bürger, die in der ersten Privatisierungsphase ihre Voucher einsetzten.

Die Gesellschaft fördert etwa elf Prozent des russischen Erdöls und -gases, von den über fünfzig Förderstellen – vor allem in der erdölreichen Region um das sibirische Tjumen –, für die sie Lizenzen besitzt, werden bisher nur einundzwanzig genutzt. 1995 sollen zwei neue Ölfelder bei Tjansk und Konitlorsk erschlossen werden.

Mit Hilfe der Aktienemission will die Holding nun die Erschließung neuer Felder und die Modernisierung der vorhandenen Anlagen finanzieren. Experten schätzen allerdings, daß der Erlös nicht ausreichen wird und Surgutneftegas zusätzlich Kreditverhandlungen mit westlichen Banken führt.

Um ihr Verkaufskonzept für die neu emittierten Aktien zu realisieren, will die Firma ein eigenes Händlernetz über ganz Rußland und ein computerisiertes Registrierungsverfahren einrichten. Dies verhilft ihr natürlich nicht zur Kontrolle über den sekundären Markt, auf dem mit der Zeit Aufkäufer auch größere Aktienmengen in ihren Händen konzentrieren könnten.

Auf diese Weise widerfuhr es zum Beispiel der Firma Komineft, die eines schönen Tages zwanzig Prozent ihrer Anteile in den Händen westlicher Gesellschaften wiederfand. Im Falle der Surgutneftegas AG könnten allerdings nur inländische Investoren zuschlagen. Dem Firmenstatut zufolge dürfen ausländische Investitoren nur fünf Prozent des Grundkapitals erwerben, und informierten Quellen zufolge ist dies bereits geschehen. Wer Aktien darüber hinaus erwirbt, verliert seine Stimme in der Aktionärsversammlung ebenso wie die Dividenden.

Was nun die Holding, die Erdöl- Gesellschaft Surgutneftegas betrifft, so sind vierzig Prozent ihrer Aktien immer noch so fest eingefroren wie die sibirischen Erdölreserven. Die Privatisierungsbehörde des Autonomen Kreises der Chanten und Mansen, zweier sibirischer Naturvölker, hat ein Gerichtsverfahren zur Klärung der Zuständigkeiten bei ihrem Verkauf angestrengt. Die Tochtergesellschaft, deren Anteile emittiert werden, ist davon nicht betroffen. Sie genießt gesetzliche Privilegien, weil das russische Finanzministerium sie für das laufende Jahr von der zehnprozentigen Exportsteuer befreit hat. Das zeugt einerseits von der Willkür, die noch immer den Handel und Wandel der russischen Ölfirmen bestimmt, andererseits aber auch vom zunehmenden Einfluß ihrer Lobby.