Ameisen in Amerika Von Andrea Böhm

Ich weiß jetzt endlich, was ich mit der Freiheitsstatue gemein habe: Ameisen. Bei der großen Dame krabbeln sie zwischen Sockel und Fackel. Bei mir kommen sie aus einem mikroskopisch kleinen Loch im Parkett meines Schlafzimmers und flitzen dann diszipliniert auf einer zweispurigen Ameisen- Highway in die Küche, wo sie – an ein paar verdutzten Küchenschaben vorbei – hinter der Spüle verschwinden, kehrtmachen und wieder im Schlafzimmerloch abtauchen.

Nicht, daß ich was gegen Tiere hätte. An die nächtlichen Küchenparties meiner Periplaneta americana – vulgo: amerikanische Küchenschabe (im Unterschied zur Blattella germanica, der deutschen Küchenschabe) – habe ich mich längst ebenso gewöhnt wie Millionen anderer Exemplare des Homo americanus – vulgo: Ami.

Küchenschaben sind seit Urzeiten Dauermieter in Millionen von menschlichen Behausungen, unkündbar, weil äußerst zäh. Nicht, daß es nicht harte Kämpfe gab, um sie vom Küchenterritorium zu vertreiben, doch die Krabbeltiere haben sich gegen alle Formen der konventionellen und chemischen Kriegführung immun gezeigt. Die Menschen haben mit dem ältesten aller Haustiere leben gelernt. Die Präsenz von Schaben im Haus ist so unausweichlich wie der Autoverkehr auf der Straße. Aber Ameisen? Im Schlafzimmer? Der pest controller – zu deutsch: Kammerjäger – besah sich die Bescherung und legte ein paar rote Schachteln aus, in der die Ameisen verschwanden, doch nicht mehr herausfanden. Offenbar waren sie aber noch in der Lage, vor ihrem Ableben ihre ArtgenossInnen zu warnen. Irgendwann waren sie alle verschwunden. Seitdem genießt mein Kammerjäger bei mir hohes Ansehen.

Die Freiheitsstatue hat's da schlechter, denn ihr pest controller benutzt nach jüngsten Berichten von Umweltgruppen Pestizide, die nicht nur den Ameisen schwer zu schaffen machen, sondern auch der menschlichen Niere und Leber. Was weniger die Freiheitsstatue betrifft, die bekanntermaßen robust gebaut ist, sondern ihre Besucher, die, wenn sie in ihrem Bauch herumklettern, nicht nur Pestiziden ausgesetzt sind, sondern bei genauem Hinsehen auch Mausefallen entdecken können.

Im chemischen Belagerungszustand befinden sich die neun Mitglieder des Obersten Gerichtshofes samt Personal des Hauses. Im Gebäude des Supreme Court werden zehn Pestizide gesprüht, die alle an die Nieren und an die Leber gehen. Zwei sind zudem krebserregend, vier der verwendeten Marken können nachweislich zu Mißgeburten führen. Und das alles, weil sich neben Amerikas Hütern der Verfassung auch noch ein paar Ratten, Ameisen und Küchenschaben in den heiligen Hallen der Rechtsprechung herumtreiben.

Noch gefährlicher leben die VolksvertreterInnen auf dem US- Kapitol. Dort werden zwar nur drei Sorten von Pestiziden verwendet, um Ameisen und Mäuse vom politischen Geschehen weitgehend fernzuhalten. Die aber sind nicht nur krebserregend, sondern beeinträchtigen auch die Fortpflanzungsfähigkeit der ParlamentarierInnen, was mit der Ideologie der family values überhaupt nicht zu vereinbaren ist. Und am Ende lachen die Mäuse und übernehmen den Laden.