Sinnsuchen im Umbruch

■ Die Sekte ist in Rußland höchst aktiv

Moskau (taz) – Kam das Tokioter Gift aus einer russischen Küche? Selbstverständlich kursieren schon wieder dergleichen Gerüchte, die in Windeseile aus dem feuchtwarmen Humus des russischen Chaos sprießen. Sinnsucher können in Rußland gesellschaftlicher Toleranz sicher sein, je fabulöser und aszendentaler, desto besser. Dennoch zogen aufgebrachte Eltern des „Komitees zur Rettung der Jugend“ letzte Woche die Sekte der „Erhabenen Wahrheit“ vor den Lügendetektor. Das Moskauer Stadtteilgericht Ostankino erhob Anklage. In der Folge wurde der gesamte Besitz der Sekte in Rußland beschlagnahmt. Seit 1992 treiben die Mönche in Moskau ihr Unwesen. Erst unterirdisch in den Gängen der Metro, dann wagten sie sich ans Licht. Allein in der russischen Metropole gründeten sie sechs Filialen. Ihr Heilsangebot: In Handzetteln versprachen sie beste Gesundheit, ein starkes Gedächtnis – für Schachspieler –, Glück und Seelenruhe für von der Hektik des Umbruchs Gebeutelte.

Die Eltern behaupteten in ihrer Anklage, die Sekte richte bewußt seelische Schäden bei den Kindern an, um sie zu gefügigen Robotern zu programmieren. Des weiteren wurde Anklage in Sachen Betrug und Vertrauensmißbrauch sowie Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht erhoben. Die Regreßansprüche der Eltern belaufen sich auf zwanzig Milliarden Rubel. Die anscheinend finanzkräftige Organisation hatte zuvor massiv Werbung betrieben. Im landesweiten Radiosender „Majak“ und im privaten Moskauer Kanal „2x2“ schaltete sie in den letzten Jahren umfangreiche Erbauungsprogramme. Klaus-Helge Donath