Orte: die Rahmenhandlung Von Claudia Kohlhase

In meiner Rahmenhandlung gibt es ein Hauptthema, und das ist Latten-Ernie. Latten-Ernie weiß nicht, daß er Latten-Ernie heißt, denn Latten-Ernie heißt eigentlich Ernst B. und verkauft Holz. Aber Latten-Ernie verkauft nicht nur Holz und Bilderrahmen per Meter, sondern auch per persönlicher Einfühlung. Und dazu eignen sich am besten Frauen, deren wahre Schönheit Latten-Ernie schon an der Tür erkennt. Er ist dabei kein flotter Feger, sondern ein graues Männlein. Ein Kittelmännlein mit einer Brokateinfassung, wenn man genauer hinsehen würde.

Denn Latten-Ernie weiß um Rahmenbedingungen, und darum ordnet sich Latten-Ernie den Frauen zu. Allerdings bloß jenen, die keine Mützen tragen oder Anoraks. Von denen sieht Latten- Ernie ja nichts, kann sich darum keinen Anblick verschaffen und verweigert sich als Rahmen: wo kein Bild, da keine Umrandung, also keine Komplimente. Wo aber schicke Röcke, schicke Jacken und ein entsprechender Inhalt ins Bild ragen und insgesamt ein schicker Eindruck verschafft wird, da ist Latten-Ernie zur Stelle und versteckt sich erst mal aus dramaturgischen Gründen hinter seiner Schiebetür. Dann kommt er linsend hervor, als traute er seinen Augen kaum, und spitzt das Mündchen zu einer schelmisch zarten Begrüßung, bei der man nicht weiß, wohin solange schauen vor Rührung und vor eigener Zierde. Auch weiß man nicht: hat er das faustdick drauf oder eingeübt, oder rappelt er sich jedesmal neu auf?

Das würde allerdings nicht viel schmälern, denn jetzt erkennt Latten-Ernie wie Donnerhall, daß er es mit einer Stammkundin zu tun hat und also mit seinem eigenen Wirkungsgrad: Darf ich davon ausgehen, fragt dann Latten-Ernie, daß uns nicht nur Rahmen, sondern auch Sympathie verbinden? Das fragt er wie hingetuscht, und wehe, wer jetzt lügt. Nein, man muß die Wahrheit sagen, und die Wahrheit kann nur sein, daß man hauptsächlich wegen Latten-Ernie und erst zweitens wegen des Rahmens da ist; das ist aber im Grunde das gleiche. Denn Latten-Ernie stellt sich als filigranes Mausezähnchen zur Verfügung und umhäkelt seine Kundin so lange mit hausgemachter Schmeichelei, bis sie quasi kippt. Das heißt aber, daß er jetzt erst zu voller Größe aufläuft und seine Mäuseäuglein über seine herabgeschobene Brille wippen läßt. Bei anderen würde man sagen, daß ihnen die Augen aus dem Kopf kommen, aber nur bei Latten-Ernie bleiben sie gleichzeitig drin. Und so erhebt er die Frau zu einer Art Gesamtkunstwerk, das eigentlich mehr verdient hat als ihn, zum Beispiel seine Rahmen.

Womit wir beim Kern, beim Verkaufsgespräch wären, was auch nicht ganz unwichtig ist, in welches Latten-Ernie aber noch genügend einbauen kann, so daß die Frau niemals auf die Idee käme, hier ginge es um irgend etwas jenseits von ihr. Allein bei der Fertigstellung des gewünschten Rahmens wird Latten- Ernie ein kleines bißchen geschäftlich, denn auch eine solche Frau wird doch verstehen, daß er erst in sieben Wochen liefern kann! Natürlich versteht sie, nachher leidet ihr Bild Schaden oder fällt aus Latten-Ernies Rahmen. Ein Schattenbereich. In diesem Reich haust Latten-Ernie, der letzte Minnesänger, den nur wenige Latten-Ernie nennen und nennen dürfen ohne Anzüglichkeit.