Schneller, höher, lauter

■ Renommiert und etabliert: die texanische Musikmesse „South By Southwest“

Auf der Bühne des Ruta Maya Coffee House an der Ecke von Lavaca und vierter Straße dreht einer, der aussieht wie Kris Kristofferson, Pirouetten auf einer motorisierten Scheibe. Minutenlang hält er das Gleichgewicht, während draußen ein Frühjahrsschauer niedergeht. Austin, Texas, Mitte März: Zum neunten Mal findet die South By Southwest Music and Media Conference (SXSW) statt – mit dem üblichen üppigen Rahmenprogramm an Konzerten: über 550 Bands in 37 Clubs der Stadt, die aus etwa 3.600 Bandbewerbungen aus den USA, Canada und aus Europa ausgesucht worden sind, darunter so renommierte Acts wie Lucinda Williams und Robert Earl Keen, die lebende Akkordeon-Legende Flaco Jimenez, aber auch Independent-Einsiedler wie Giant Sand, Dan Stuart und Chuck Prophet (einst bei Green On Red zusammen) sowie der frisch prämierte Austiner Hamell On Trial mit einer unglaublichen Ein- Mann-Show. Auch Berlin war vertreten: durch den Gitarristen Caspar Broetzmann und seine Band Massaker sowie Nadja Petrick.

Ursprünglich als Forum für die regionale Szene gedacht, hat sich die SXSW mittlerweile endgültig zu einer internationalen Veranstaltung gemausert – was auch mit der Tradition zu tun haben mag: Aus Austin stammen Musiker wie Willie Nelson, Butch Hancock, Joe Ely und Jimmie Dale Gilmore. Wegen der vielen Auftrittsmöglichkeiten trägt sie den Titel „Live music capital of the world“ sicher nicht ganz zu Unrecht. Im legendären Restaurant Threadgill's im Norden fanden die ersten Auftritte von Janis Joplin statt, und auf der sechsten Straße, Austins Touristenmeile, spielen noch heute täglich Unmengen von Roots-'n'- Blues-Bands.

Trotz dieser günstigen Voraussetzungen schaffte es die Berliner Delegation, mit negativer Außenwerbung auf sich aufmerksam zu machen. Neben Broetzmanns Massaker und Nadja Petrick sollte das Berliner Techno-Label MFS („Masterminded For Success“) eigentlich einen ganzen Abend für sich alleine bestreiten. Für die Unterstützung solcher Reisen stellt das Referat Kulturaustausch im Berliner Senat für Kulturelle Angelegenheiten ein – wenn auch immer kleiner werdendes – jährliches Budget zur Verfügung. Bei der diesjährigen Vergabe dieser Mittel kam es zu Turbulenzen, als das Referat entschied, das komplette Budget der in Berlin nie wirklich in Erscheinung getretenen Nadja Petrick und ihrer Crew zur Verfügung stellen.

Als Folge dieser Entscheidung und der Lässigkeit der MFS-Leute, die ihren Antrag auf Unterstützung viel zu spät stellten, mußte eine ganze Nacht mit Techno- Tracks des international bekannten MFS-Labels abgesagt werden. Mark Reeder von MFS dazu: „Wir wollten den Leuten dort etwas zeigen, was repräsentativ für Berlin ist“. Tatsächlich ist das Interesse der Amerikaner an „typisch deutschen“ Bands sehr viel größer als zum Beispiel an Blues made in Germany. Jede bayerische Blasmusikkapelle hat hier größere Chancen, ihr Publikum zu finden, als eine Band, die einfach nur unbeholfen das wiederholt, was in USA bereits auf unzählige Arten und Weisen schöner gesagt worden ist.

Musik und Marketing im Paketpreis

In diesem Jahr gab es aber auch eine regionale Gegenbewegung zum zunehmenden Etabliertheitsgrad von SXSW. „Lubbock or leave it“: in der von dem Songwriter Butch Hancock betriebenen Galerie dieses Namens fanden Konzerte und Sessions einer ganzen Szene von teilweise renommierten Musikern statt, die mit der SXSW nichts zu tun haben wollen – oder, trotz ihres Bekanntheitsgrades, kein Konzert auf der Messe bekamen. Die eher intime Konzertsituation mit beschränkten Zuschauerzahlen (22.000 Konzertbesucher zog es dagegen während der SXSW in die Clubs) gab einigen Vorstellungen ein Flair, das bei den meisten offiziellen Konzerten nicht mehr aufkam.

Neben dem allabendlichen Konzertmarathon fand der „industrielle“ Teil der Messe tagsüber im Austin Convention Center statt. Fast 100 Aussteller aus allen Sparten der Musikindustrie stellten hier ihre Produkte etwa 4.500 Fachbesuchern vor. Etwa 60 Seminare mit über 300 Experten aus allen Teilen der US-amerikanischen Musikindustrie lieferten Informationen: „Wie verkauft man amerikanische Musik in Europa“ oder „Wie verkauft man internationale Musik auf dem amerikanischen Markt“, „Touren ohne Streß“ oder „Moderne Aufnahmetechniken“. Ein „Mentor-Service“ gab einem zusätzlich Gelegenheit, für eine halbe Stunde mit einem Profi ein Detailproblem zu erörtern. Paketpreis für alles: immerhin 350 Dollar. Wer aber einfach nur Konzertbesucher sein wollte, hörte für umgerechnet knapp sechzig Mark vier Tage handgemachte, größtenteils amerikanische Musikkultur – und kam sogar noch in den Genuß von Folk-Bands von Irland bis Norwegen und Frankreich bis Ungarn. Deren Plattenfirmen haben es offensichtlich verstanden, ihre Künstler an bevorzugten Plätzen spielen zu lassen.

Wie gesagt: Nicht bei allen in der lokalen Szene findet die Internationalisierung der Messe Freunde. Doch eines beweist die SXSW – im Gegensatz zu den eingegangenen Berlin Independence Days – Jahr für Jahr aufs neue: daß eine lebendige Kultur mit der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten auch ohne staatliche Förderung erfolgreich sein kann. Janek Siegele