: „Lieber hier sterben als zurückgehen“
Kurz nach Aufhebung des Abschiebestopps erhält die kurdische Familie Demirkiran in Franken Kirchenasyl / Unterstützung vom Landesbischof und dumpfe Beschimpfungen am Telefon ■ Aus Höchstadt Bernd Siegler
Unscheinbar liegt sie am Rande der mittelfränkischen Kleinstadt Höchstadt/Aisch – die Christuskirche aus grauem Beton. Seit Anfang der Woche jedoch steht das Gotteshaus im Mittelpunkt des Interesses. Kaum hatte das bayerische Innenministerium nach der Aufhebung des Abschiebestopps die örtlichen Ausländerbehörden angewiesen, die Abschiebung abgelehnter kurdischer Asylbewerber zu forcieren, da durchkreuzte ausgerechnet eine Kirchengemeinde in einer traditionellen CSU-Hochburg die Pläne der Christlich-Sozialen.
Der Kirchenvorstand der 3.400köpfigen Protestantengemeinde hat sich entschlossen, die kurdische Familie Demirkiran zu schützen. „Christliche Beistandspflicht“ nennt Pfarrerin Karin Hüttel dies. Bayerns Innenminister Günther Beckstein spricht dagegen von „illegalem Kirchenasyl“.
„Ich weiß nicht, ob die evangelische Kirche sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewußt ist“, betont Höchstadts Bürgermeister Bernd Bergmann. Seit 16 Jahren steht der CSU-Mann an der Spitze des 13.500-Einwohner-Städtchens in Franken. Bergmann empfiehlt der Kirchengemeinde „loyal zur Gewaltenteilung in einer Demokratie zu stehen“. „Sonderrechte für Kirchen“ gebe es einfach nicht.
„Wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht“, versichert die 35jährige Pfarrerin Karin Hüttel. Sonntag vor einer Woche standen Ahmet und Elif Demirkiran mit ihren Kindern Olcay (16), Mehmet (14) und Ali (8) plötzlich vor dem Kirchenportal. Die Familie bat wegen der drohenden Abschiebung um Hilfe. „Man kann viel über Asylrecht reden, aber wenn dann konkret jemand vor der Tür steht, ist das doch etwas ganz anderes.“ Pfarrerin Hüttel informierte sofort den Kirchenvorstand. Bis weit nach Mitternacht zogen sich die ersten Diskussionen – zunächst ohne Ergebnis. Zusammen mit Irmgard Pelz, Vertrauensfrau im Kirchenvorstand, trug die Pfarrerin Material über das Schicksal der Demirkirans und über die Problematik eines Kirchenasyls zusammen. Nach drei Sitzungen beschloß der Kirchenvorstand dann einstimmig, der Familie Schutz zu gewähren.
„Die Familie ist bei einer Abschiebung stark gefährdet“, steht für den gesamten Kirchenvorstand fest. Der 39jährige Ahmet Demirkiran, ein Angehöriger der alewitischen Glaubensgemeinschaft, hatte sich in der Türkei für die Unabhängigkeit der Kurden engagiert. Er verteilte Flugblätter und stellte sein Haus für Versammlungen zur Verfügung. Dann wurde er verhaftet, mit Elektroschocks gefoltert und nach 14 Tagen wieder entlassen. Als er aus Angst vor weiteren Repressalien untertauchte, wurde seine Familie bedroht. Die Demirkirans faßten den Entschluß zur Flucht.
Im August 1991 reisten sie in die Bundesrepublik ein. Von allen Instanzen wurde ihr Asylantrag als „unbegründet“ abgelehnt. Die Demirkirans stellten einen Folgeantrag, tauchten aber aus Angst vor Abschiebung in den Niederlanden unter. Auf Anraten des Anwalts kamen sie im Juli 94 wieder zurück. Ahmet Demirkiran wurde verhaftet und in Abschiebehaft genommen. Sein Asylfolgeantrag war inzwischen nicht zugelassen worden. Erst im Januar, nach sechs Monaten Haft, kam er aufgrund des inzwischen verfügten Abschiebestopps wieder frei. Derzeit läuft die Beschwerde gegen die Ablehnung des Folgeantrags. Für die Ausländerbehörde beim Landratsamt Erlangen-Höchstadt hat dies jedoch keine aufschiebende Wirkung. Am 15. März hob Kanther den Abschiebstopp auf, schon einen Tag später erhielt die Familie die Aufforderung, das Land zu verlassen.
„Die ganze Familie weiß, was passieren wird, wenn wir in die Türkei zurück müssen“, sagt Elif Demirkiran. „Auch wenn vielleicht nicht gleich etwas passiert – sie werden in unser Haus kommen und vielleicht sogar eine Bombe werfen“, ist sich Vater Ahmet sicher. „Jetzt, wo wir im Fernsehen sehen, was in Istanbul mit den Alewiten gemacht wird, haben wir noch viel mehr Angst.“ Daß die Demirkirans mit den Nerven völlig fertig sind, zeigt die Äußerung der 16jährigen Olcay: „Lieber sterben wir hier, als daß wir in die Türkei zurückgehen.“
Rund um die Uhr werden die Demirkirans derzeit von der Gemeinde betreut. „Wir brauchen einen Helferkreis von 120 Leuten“, betont Pfarrerin Hüttel und ist optimistisch. Inzwischen hat die katholische Gemeinde Unterstützung zugesagt, und auch Landesbischof Hermann von Loewenich hat sich hinter die Gemeinde in Höchstadt gestellt. Kirchenasyl sei „ein positiver Beitrag zur politischen Kultur und zur Entwicklung des Rechtsstaats“, erklärte das Oberhaupt der bayerischen Protestanten. Für Minister und Landessynoden-Mitglied Beckstein eine Provokation. Nicht nur für ihn.
„Deutschland muß sauber bleiben“ oder „ihr dummen Hunde“ lauten die Beschimpfungen und Beleidigungen, die jetzt per Telefon im Pfarrhaus eingehen. Aber der Kirchenvorstand läßt sich nicht beirren. Einig ist sich die Kirchengemeinde, daß man keine Eskalation, etwa einen Polizeieinsatz in den Kirchenräumen, wolle. „Es geht uns nur darum, dieser einen Familie zu helfen“, betont Hüttel. „Wir wollen sie nicht verstecken, sondern so lange schützen, bis eine endgültige Entscheidung gefallen ist.“ Die hätte schon fallen können, wenn nicht der zuständige Richter erkrankt wäre.
Die Ausländerbehörde spielt auf Zeit. Man könne ruhig „noch zwei oder drei Wochen abwarten“, heiß es dort. Der Hintergedanke: Vielleicht entscheidet sich die Familie doch noch zu einer „freiwilligen Ausreise“.
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