: Grellrot leuchtende Satinpopos
■ Mischung aus Nummernrevue und Groteske: Rubato-Uraufführung von „Fern Blau“ am Halleschen Ufer
Es ist Bademützenzeit im Theater am Halleschen Ufer. Während draußen erste Frühlingswinde wehen und man schon einige Menschen, noch etwas eingemummt, in Straßencafés sichten konnte, wurde das Tanztheater Rubato von einer ungeahnten Heiterkeitswelle überrollt. Vergessen ist der Ballast des letzten Stückes, der zentnerschweren „Hymnen“. Auch die etwas angestrengten Versuche der Rubatos, der Arbeit ihres Vorbilds, des verstorbenen Choreographen Gerhard Bohner, in ihren ästhetischen Experimenten zu folgen, haben sich weitgehend verflüchtigt.
Mit „Fern Blau“, uraufgeführt am vergangenen Donnerstag, ist das Choreographenpaar Jutta Hell und Dieter Baumann bei sich selbst angekommen. „Fern Blau“ ist eine Mischung aus Nummernrevue und Groteske – bedingungslos heiter geht es also nicht zu. Die fünf TänzerInnen sind in Kleidchen gestopft, die von fern an Badekleidung der zwanziger Jahre erinnern, und unter kurzen Säumen lugen grellrot leuchtende Satinpopos hervor, die immer wieder sowohl dem Publikum als auch den Mittänzern entgegengestreckt werden.
Zentraler Ort der Handlung ist eine Bank, die, quer auf die Bühne gestellt, weder Anfang noch Ende erkennen läßt und so den Eindruck erweckt, bis ins Unendliche zu verlaufen. Auf dieser oder an dieser Bank entlang robben die TänzerInnen auf die Bühne, und auf gleiche Weise verlassen sie sie wieder. Hierher kehren sie jedesmal zurück, von diversen Versuchsanordnungen im Raum, in denen Körper geschubbert werden, man in einem höchst reduzierten Schuhtanz Verführungsversuche unternimmt (so kann das ja nicht klappen) oder auf dem Boden in konvulsivische Zuckungen verfällt.
Was ein „Schuhtanz“ ist? Bei Antje Rose, die Füße in Schuhen von ebensolcher Röte wie die Unterbekleidung gesteckt, sind das kurze abgehackte Schritte, mit kleinen Anflügen zum Flamenco oder einem militärischen Hackenzusammenschlagen. Auf diese reduzierte Weise, bei der dem Körper nichts anderes bleibt, als den Schritten zu folgen, durchquert sie die Bühne ein ums andere Mal, bis durch permanente Wiederholung die Reduktion schließlich als ein hilflos stumpfes, völlig absurdes und schließlich existentielles Bemühen erkennbar wird: gerichtet auf den jungen Mann (Philipp Seibert), der im Hintergrund auf der Bank sitzt und einiges Interesse an der Dame bekundet.
In einem der anrührendsten Momente der Inszenierung steigt Antje Rose schließlich selbst auf die Bank und setzt zu einem leidenschaftlichen Gesang an, bei dem allerdings kein Ton zu hören ist: All ihre Bemühungen sind völlig ernsthaft und zugleich von absoluter Sinnlosigkeit. Nicht anders ergeht es den anderen TänzerInnen; mehr oder weniger aufgeregt, aber immer völlig ernsthaft geben sie sich ihren Bewegungen hin und verfolgen nicht erkennbare Ziele. Einerseits. Andererseits erhält durch die Ernsthaftigkeit des Bemühens alles einen gewissen Sinn. Darüber scheint am Ende – höchst ernsthaft – Jutta Hell nachzudenken, die allein im Scheinwerferlicht verbleibt und auf die existentiellen Fragen ganz offensichtlich keine Antwort findet. Irgendwas war da doch – aber was war das bloß noch?
„Fern Blau“ ist also lustig, ernsthaft, nachdenklich, und es ist sehr verspielt. Diesem Hang zum Verspielten, der auch schon in früheren Stücken ansatzweise zu verspüren war, haben die Rubatos hier das erste Mal freien Lauf gelassen – den Bewegungen deswegen aber noch lange nicht. Diese Truppe ist nämlich auch noch in der Verspieltheit streng. Und wenn Nora Nadésh gegen Ende, hinter die Bank verbannt, andeutungsweise zeigt, wie wunderbar sie tanzen kann, dann lechzen wir nach mehr: Bitte einfach mal tanzen lassen, die Körper! Aber dann wäre vielleicht alles schöner und sinnlicher, als es sein darf. Bei Rubatos gibt es immer etwas karge Kost. Michaela Schlagenwerth
Bis 1. 4., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen