Bunte Vögel mit seltsamen Macken

■ Fußballer-Schicksale in Westberlin: Die besten Spieler wurden von westdeutschen Vereinen gekauft / Reif für die Insel war nur, wer im Westen keine Arbeit mehr fand

Der Spruch steht festgepflockt in der Berliner Fußball-Landschaft: „Wer zu Hertha geht, ist entweder geisteskrank oder völlig pleite“, sprach einst Peter Neururer, bevor er 1991 nach kurzem Trainer-Intermezzo an der Spree das Handtuch warf. Und die „alte Dame“ Hertha BSC, stellte die SPD-Vordere Ingrid Stahmer einst fest, ist nun mal Berlins unheimlich-heimliche Liebe.

Also alles plemplem an der Spree? Man könnte es meinen. Deshalb wechseln die meisten Talente, wenn sie gescheit sind, beizeiten zu westdeutschen Vereinen: Littbarski, Häßler, Ziege, Bäron, die in Schöneberg, Rudow, Zehlendorf oder Reinickendorf das Fußball-Abc erlernten. Ihr Stern ging erst außerhalb der Berliner Mauer auf – in Köln, München oder Hamburg. „Nö, Hertha hat sich nie bei mir gemeldet!“ bestätigte „Litti“, bevor es ihn Ende der siebziger Jahre an den Rhein zog. Es klang eher nach Erleichterung als nach mißverstandenem Prophetentum im eigenen Land.

Zurück blieben bunte Vögel mit seltsamen Macken. Legendär der Willkommensgruß des Bundesliga-Verteidigers Herbert Finken (Tasmania 1900), der in der Saison 1965/66 seine Gegenspieler mit einem kernigen „Gestatten, Finken – und du wirst gleich hinken!“ zu begrüßen pflegte. Oder Horst Szymaniak vom selben Klub aus Neukölln. Als man dem begnadeten Kicker (43 Länderspiele!) einen neuen Vertrag zu verbesserten Konditionen anbot, lehnte „Schimmi“ brüsk ab. „Nur ein Drittel Gehalt mehr als vorher. Das ist zuwenig. Ich will mehr, mindestens ein Viertel mehr!“ Alles Anekdoten, die man sich noch heute an den Lagerfeuern erzählt.

Die sechziger Jahre waren in der städtischen Fußballszene reich an illustren Gestalten. Vor allem bei Hertha trafen sie sich. Etwa Wolfgang Fahrian, der Nationaltorwart aus Ulm, heute ein Großer aus der Zunft der umstrittenen „Spielerberater“. Oder Otto Rehhagel, demnächst Übungsleiter der Millionäre von Bayern München. „Wenn ich ins Stadion komme“, soll Otto in den Katakomben des Olympiastadions getönt haben, „dann hat die erste Zuschauerreihe Schienbeinschützer an.“

Aber Rehhagel hat dazugelernt, geht heute sogar ins Theater. Nur Uwe Kliemaschewski, ein Verteidiger der Marke „Eisenfuß“, dem nichts Unmenschliches fremd war, ist im Herzen stets Herthaner geblieben. Als Coach des FC Homburg ließ er später seine Jungs Scharfschießen üben, indem er den Platzwart an den Pfosten band. Nein, was haben wir gelacht!

Die rauhen Zeiten änderten sich in den siebziger Jahren, als in den Berliner Stadien Sitte und Anstand Einzug hielten. Verantwortlich hierfür war ein einziger Mann: Erich „Ete“ Beer. Der edle Erich, die treue Seele. „Der nickt schon, bevor der Trainer den Mund aufmacht“, feixten die Mitspieler.

Zum Dank für seinen vorauseilenden Gehorsam durfte „Ete“ von 1975 bis 1978 sogar 24mal das Nationaltrikot überstreifen. Ganz West-Berlin war stolz auf Erich, den Adlerträger. Dennoch wandten sich gerade die fachkundigen Fans mit Grausen ab. Grund: „Ete“ spielte einen fürchterlichen Stiefel.

Böse Zungen behaupten deshalb, der Herthaner habe die Nationalhymne nur deshalb mitsingen dürfen, weil Bundestrainer Helmut Schön in Wahrheit sein unehelicher Vater sei. Andere Kritiker sahen in Beer wiederum die fleischgewordene Forderung der Politik nach einer Integration der Mauerstadt in die BRD. „Ein Berliner muß in die Mannschaft“, forderte der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger, ein glühender Deutschnationaler.

Es folgte die Zeit der Abzocker. Rainer Bonhof war so einer, der heutige Co-Trainer von Bundes- Berti Vogts. 1982/83 tauchte Bonhof, aus Valencia kommend, für einige Partien und viel Geld bei Hertha auf, verabschiedete sich jedoch rasch in den Ruhestand. Fortan galt: Wer im Westen keinen Arbeitgeber mehr fand, der war reif für die Insel Berlin. Jürgen Schulz