Berliner Tagebuch
: Mal ruhig pennen

■ Berlin vor der Befreiung: 25. März 1945

Foto: J. Chaldej/Voller Ernst

Jetzt gibt's kein Wasser mehr. Aus den Wohnungsleitungen kommt jedenfalls kein Tropfen. Die Pumpe am Oli läuft aber noch, und wir stellen uns dort in Schlangen an.

Man muß gewitzt sein und schnell nach der Entwarnung hinrennen, dann ist dort kaum ein Mensch.

Die Brühe ist trübe und schmeckt mulmig. Oma hat Durchfall davon und braucht Medikamente. Aber zu Onkel Paul zu laufen, wäre leichtsinnig. Das wäre ein Tagesmarsch, und wir entfernen uns kaum noch einen halben Kilometer von der Wohnung.

Tag und Nacht gehen ineinander über. Weiß gar nicht, wann ich mal sechs Stunden oder so durchgeschlafen habe. Wir sehen auch kaum noch auf die Uhr. Man will eigentlich nur zu essen und zu trinken haben, mal ruhig pennen und nicht verwundet werden.

Davor habe ich die meiste Angst: Schmerzen. Plötzlich ganz tot sein wär' nicht soooo schlimm.

Evelyn Hardey

Evelyn Hardey: „... damals war ich fünfzehn“, erschienen im Enssling & Laiblin Verlag, Reutlingen 1979.

Evelyn Hardey wurde im Jahr 1930 geboren. Sie ist Autorin von Reiseberichten, Hörspielen sowie Büchern und erlebte das Kriegsende in Wilmersdorf.

Recherche: Jürgen Karwelat