War's das letzte Wort?

Vor dem heutigen DEL-Play-off in Köln setzt bei Ex-Favorit Preussen bereits Verliererhadern ein  ■ Aus Berlin Peter Unfried

Plötzlich kroch die Angst heran. Das heißt sie kroch nicht, sie raste, war da und füllte die Eishalle Jafféstraße von jenem Moment an, als Thomas Brandl nach 12.08 Minuten die Kölner Haie mit 2:0 in Führung gebracht hatte. Da fiel binnen Sekunden jenes scheinbar gewaltige Tarnmäntelchen aus Selbstbewußtsein, Optimismus und Hoffnung ab, woran Team und Anhängerschaft – trotz aller gegenteiliger Erfahrungen – monatelang unverdrossen gewoben hatten. Zurück blieb, bei allem Mühen auf dem Eis und den Rängen: Fatalismus. Der, in fünf nackten Worten ausgedrückt, mitteilte: „Wir schaffen es wieder nicht!“

Es sieht ganz so aus. Was ist in diesem Moment eine respektable DEL-Normalrunde wert, mit 69 Punkten und Platz 1, was der Spaziergang ins Halbfinale mit 4:0-Erfolgen über Ratingen und Schwenningen? Nichts. Nach der 1:5 Niederlage vom Donnerstag ist der mühsam erspielte Heimvorteil im „Best of five“ futsch, und wenn man heute an der Lentstraße verliert, die gesamte Saison. „Was kann man sagen“, hat Preussen- Trainer Kevin Primeau nach dem Spiel gefragt. Und als Antwort gefunden: “Nicht viel.“

Das drückt exakt jene Hilflosigkeit aus, die die eleganten Preussen auf dem Eis befallen hatte, als sie erstaunt merkten, daß die Kölner Defensive ihrem Tempo gewachsen war. Was tun? Noch schneller spielen und jene Fehler machen, auf die die Haie spekuliert und deren Ausnützen sie die Tage zuvor fleißig geübt hatten. „Wir haben“, sagte zufrieden Co- Trainer Bernd Haake, „den Preussen eine Falle gestellt.“ Und die, in der Annahme die Besseren zu sein, tappten bereitwillig rein.

Weil es stets besonders schwer fällt, als vermeintlich Besserer einen eindeutig Klügeren zu akzeptieren, ist man schnell auf den Referee Schnieder (Iserlohn) gekommen. Preussen-Präsident Hermann Windler wollte in der ersten Enttäuschung Schnieder für das vierte Spiel „ablehnen“, die Anhängerschaft ihn am Brandenburger Tor baumeln sehen. Was hatte er getan? Das Spiel laufenlassen, auch in einigen Situationen, in denen die Preussen sich Kölner Bestrafungen gewünscht hätten.

Andere haben, wie Trainer Primeau, ihr eigenes Kategoriensystem angewandt und postuliert, man dürfe bei der Analyse „nicht nur das sehen, was auf dem Scoreboard steht“. Nun: Im ersten Spiel stand da ein 3:1 für die Preussen, obwohl die Kölner viele Chancen hatten und nach Primeau also gut spielten. Aber: Daraus hat deren Trainer Bob Murdoch geschlossen: „Letztendlich kommt es darauf an, die Chancen zu nützen.“ Das klingt simpel, doch schießt man dann auch noch, wie Draisaitl das 4:1, die Tore „in Schlüsselsituationen“ (Murdoch), wird es, zumindest nach den Gesetzmäßigkeiten des Sports, genial.

Vor einer Woche, und hier kommt die taktische Entwicklung hinzu, hatten die Kölner kombiniert und gegen einen prima Merk nicht getroffen, danach hat man Video gekuckt und hinterher gewußt, „daß und wo wir hinschießen müssen“ (Haake). Aus der Ferne, auf Klaus Merk nämlich, den Nationaltorhüter, der mit den aus der Distanz daherkommenden Pucks nicht zurechtkam, so das 0:1 einfing und das 0:3 selbst vorbereitete.

Gegenüber Josef Heiß dagegen war „heiß“ (Primeau) und der „Schlüssel des Spiels“ (Murdoch). Womit beide entscheidenden Faktoren für Köln sprachen, und woraus der unverbindliche Kanadier Murdoch für heute mittag ableitet: „Wenn wir ein gutes Torhüterspiel haben und unsere Chancen nutzen, werden wir gewinnen.“

Nun hat man für den Auswärtssieg beträchtliche Kräfte aufwenden müssen, doch „müde“, wie Primeau das weismachen wollte, hatte außer dem scheidenden Kanadier die Haie keiner gesehen. Zu fragen ist vielmehr, warum die Preussen ihre Linien häufiger verloren geben mußten als geplant? „Ich hatte den Eindruck“, sagte Bernd Haake, „daß die Konditionsschwierigkeiten hatten.“

Nicht die Anhängerschaft allerdings, die das letzte Drittel zu einem Liebesbeweis ungeahnten Ausmaßes nutzte. 10.35 Minuten jubilierten die BSC-Chöre trotzig ihr „Olé, Super-Preussen“, ohne sich davon kirremachen zu lassen, daß just auf dem Eis das Gegenteil bewiesen ward. Nach Draisaitls 1:4 (50.35) war dann Schluß mit lustig, das Spiel zwanzig Minuten unterbrochen, nur um in der verbliebenen Zeit O'Regan und Holzmann Gelegenheit zu geben, sich ihres Verliererfrustes zu entledigen.

Aber ist tatsächlich schon alles verloren? „Diese Frage“, hat Kevin Primeau gesagt, „verstehe ich nicht.“ Im Gegenteil: „Wir haben immer gewußt“, behauptet der Erfahrene, „daß wir ein Auswärtsspiel gewinnen müssen.“ Da die DEL-Regeln das keineswegs vorsehen, muß er folglich die Heimniederlage einkalkuliert haben.

Darauf freilich sollte nur wetten, wer den Gewinn nicht dringend nötig hat. Als der fröhliche Kölner Haake jedenfalls den Vip- Raum verließ, da hat er sich noch einmal umgedreht und freundlich aber bestimmt gesagt: „Tschüß, bis nächstes Jahr!“ Es klang verdächtig, als sei dies das letzte Wort in der Sache gewesen.

Play-off-Halbfinale, 3. Spieltag: Berliner Preussen – Kölner Haie 1:5 (Stand: 1:2)

Zuschauer: 6.063 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Draisaitl (2:01), 0:2 Brandl (12:08), 0:3 Demmel (19:44), 1:3 Teevens (31:14), 1:4 Draisaitl (50:35), 1:5 Schmidt (50:56)