Die SPD will wieder diskutieren

■ SPD-Familientreffen beschließt vier weitere Sonderparteitage. Henning Voscherau und Jörg Kuhbier schließen Burgfrieden Von Florian Marten

„Das sind doch nur Leerfloskeln! Die Bürger wollen von der SPD keine langweiligen, endlosen Diskussionen – sondern Lösungsvorschläge!“ Bau- und Betonsenator Eugen Wagner stand mit seiner Schelte am Wochenende im Bürgerhaus Wilhelmsburg auf verlorenem Posten. Auch seine Bitte um „inhaltliche Zeichen, damit die Menschen sehen, wo wir stehen“, erhielt von der klaren Mehrheit des Sonderparteitags zur Krise der SPD eine deutliche Abfuhr.

Stattdessen folgten die 283 Delegierten der von Parteichef Kuhbier, Stadtchef Voscherau sowie den SPD-Kreisen Nord und Wandsbek ausgekungelten Strategie. Bis zur Bürgerschaftswahl 1997 will die SPD mit Diskussionen in Projektgruppen, Distrikten und Kreisen sowie auf vier großen Sonderparteitagen zu den Themen „Arbeit“, „Sozialstaat“, „Soziale Großstadtstrategie“ und „Innere Sicherheit“ an einem Erneuerungsprofil feilen.

Damit erhielt Parteichef Jörg Kuhbier grünes Licht für den von ihm Anfang des Jahres mit einer schonungslosen SPD-Kritik eingeleiteten Diskussionsprozeß. Kuhbier hatte über Reformstau gejammert und der Partei Auszehrung und ein miserables öffentliches Image angelastet. Nach anfänglichem Widerstand schwenkten jetzt auch Henning Voscherau und SPD-Fraktionschef Günther Elste (beide Wandsbek) auf die Linie Kuhbiers ein. Bedingung: kein Durchmarsch linker Positionen, sondern ein geordnetes Diskussionsverfahren, in welches Parteirechte und Senat mitsteuernd eingebunden sind.

Kein Wunder, daß sich die Delegierten fünf Stunden lang über das Ausbleiben der erwarteten Schlacht zwischen Links und Rechts wunderten. Allein der Kreis Mitte, der – in einem Gegen-Reform-Papier – Kuhbier & Co Verrat an Arbeiterklasse und kleinen Leuten vorgeworfen hatte, wollte bereits jetzt den öffentlichen Streit um Verkehr und Innere Sicherheit.

Stattdessen gab es Sonntagsreden satt. „Seien wir doch locker“ rief Voscherau seiner Partei zu. Der Senat leiste prima Arbeit, welche die Partei nicht immer recht würdige, wenn sie vorschnell über „Defizite auf der Handlungsebene“ mosere, wo doch viele der großstädtischen Fehlentwicklungen von der Politik kaum zu beeinflussen seien.

Günther Elste deutete immerhin vorsichtig an, daß es gefährlich sei, „sich selbst in die Tasche zu lügen“: „Vor der SPD liegen noch viele Streitthemen.“ Kuhbier sekundierte: „Wir müssen weg von der Uneindeutigkeit hin zu klarer Profilierung.“ Wichtig war den Strategen von Links und Rechts am Samstag dabei freilich nur der Konsens über den Weg: In Zukunft, so Elste, solle die SPD ruhig „tabufrei“ diskutieren. Themen wie Transrapid, Autoverkehr oder gar Innere Sicherheit blieben sorgsam ausgespart.

Statt sich gegenseitig eins auf die Mütze zu geben, bekam, liebe Gewohnheit, die politische Konkurrenz eins aufs Dach. Neben einigen Nickligkeiten in Richtung CDU und Statt-Partei, denen Voscherau Unfähigkeit in Sachen konsequenter Großstadtpolitik und Reform attestierte, widmete sich der Stadtchef vor allem seinen Lieblingsfeinden von den Grünen: Joschka Fischer? Pfui Teufel: „Ein machtpolitischer Stratege!“ Grüne Erfolge? Igitt: „Großbürgerliche Öko-FDP!“ Schwarz-Grün? Zum Kotzen: „Eine von jeglichen Inhalten abgehobene und auf reine Machtklempnerei beschränkte Debatte!“ Was anderen fehlt, meinte Voscherau, habe dafür SPD: „Der Mut zum Wandel und öffentliche Selbstkritik – das ist das Geheimnis des Erfolges in den nächsten 50 Jahren“.