Die Beduinen werden seßhaft

■ Die Wüste lebt (3): Umjubelt, verlacht, kritisiert und immer noch kreativ - die Bremer Soziokultur/ Neubeginn nach dem Zusammenbruch der ABM-Hilfskonstruktion

Bewegt man sich durch das wüste Bremer Kulturleben, kommt man hier und da durch Oasen. Um die großen Kulturdörfer – Bremer Theater, Philharmonusche Gesellschaft, Kunstverein – haben sich Kulturbeduinen niedergelassen und ihre Zelte aufgeschlagen. Seit rund zwanzig Jahren versuchen sie, andere Kultur als am Hofe des großen Paschas zu machen. Manchmal ermattet, das Hirn durch politische Bestrahlung vertrocknet, aber auch immer wieder kreativ, graben sie die Brunnen tiefer und tiefer in die Szene hinein. Diese stillt dort ihren Durst nach Kultur und Wissen.

Mit viel Eigeninitiative und unbezahlter Arbeit begannen Projekte wie Brodelpott, das Frauenarchiv Belladonna oder das Kulturzentrum Schlachthof ihre Arbeit. Zunächst frei und ungebunden, stellten die KulturmacherInnen bald fest, nicht ohne „Staatsknete“ auskommen zu können. Bremen war zu SPD-Zeiten zunächst großzügig, unterstützte die Projekte mit rund 300 ABM-Stellen. Anfang der 90er war der Segen vorbei, ABM wurde abgeschafft. „Das ist das Ende der freien Kulturarbeit", unkten Pessimisten. Mittlerweile hat sich gezeigt, daß der staatliche Bruch auch eine reinigende Wirkung gehabt hat. Die soziokulturellen Einrichtungen mußten sich arrangieren, neue Konzepte erarbeiten. Um zumindest ein Minimum für Stellen, Projektgeld und Betriebskosten zu garantieren, hat Helga Trüpel den 1,5-Millionen-Topf eingerichtet. In 75.000-Mark-Häppchen je Projekt, sicherte dieser in den vergangenen drei Jahren rund 35 Stellen in den verschiedenen freien Kulturzentren. Trüpel setzte außerdem durch, daß einige soziokulturelle Einrichtungen einen eigenen Haushaltstitel bekommen haben. Knapp 5,15 Millionen Mark stehen seitdem jährlich für die alternativen Projekte zur Verfügung. Allerdings: Davon ist jede Mark fest verplant für die Betriebs- und Projektkosten. So ist zwar die Grundversorgung halbwegs gesichert. Aber darüber hinaus bleibt dem Kulturressort kein Handlungsspielraum, wenn's mal kurzfristige Unterstützung für eine neue Soziokulturidee bräuchte. Und so sind auch den Kultureinrichtungen die Hände gebunden.

„Neue Bücher müssen wir uns vom Munde absparen“, sagt Maren Bock vom Frauenarchiv Belladonna. Seit Ende der 80er Jahre baut sie das weit über Bremen bekannte Archiv zur Frauengeschichte auf. Sechs Frauen hatten 1986 mit eigenem Geld und mit Spenden ein Haus für das Archiv gekauft. Das wird mittlerweile selbst von JournalistInnen vom WDR und der Frankfurter Rundschau genutzt, ist bei Wissenschaftlerinnen an allen deutschen Unis als gute Quelle bekannt. Das Archiv deckt Lücken in staatlichen Archiven, nicht nur in Bremen. Durch Recherche-Aufträge können Maren Bock und ihre Kollegin Geld dazuverdienen. Außerdem bemüht sich Belladonna, durch Kurse, Vorträge und Frauenfeste klaffende Löcher im Haushalt zu stopfen. „Für politische oder wissenschaftliche Arbeit bleibt kaum Zeit“, sagt Maren Bock.

Viel Zeit und Muße haben dagegen die BetreiberInnen der Kulturwerkstatt Westend. In dem vom DGB, Der Angestellten und der Arbeiterkammer und dem Kulturressort finanzierten Haus, sollen ArbeitnehmerInnen „ihre nicht vermuteten künstlerischen Fähigkeiten entdecken und entwickeln“. Nach eigener Werbung wird in den Video-, Metall-, Malerei- und Theaterwerkstätten „Kunst produziert“. Zwei von Bildungssenator Henning Scherf abgeordnete Lehrer leiten das Haus. Auch die Idee ging Ende der 80er Jahre von Scherf aus, der die Kosten für die sozialpolitische Idee beim Kulturressort ließ. Die Mehrzahl der hauptsächlich männlichen Nutzer kommen nicht aus dem umliegenden Stadtteil Walle, gehören auch sonst nicht zur proletarischen Zielgruppe. „Die den Impuls in sich spüren, etwas in sich zu verändern, kommen“, sagt Rudolf Wenzel, einer der beiden Westend-Leiter. Zu dieser „sensibilisierten“ Selbsterfahrergruppe gehören dann auch in erster Linie Lehrer und andere Pädagogen, ab 35 Jahren aufwärts. Es sei in Zeiten der Reizüberflutung schwer, an die Menschen heranzukommen. „Wenn man mal mit dem Alltag bricht, kann sich das auf das ganze Leben auswirken“, sagt Wenzel. Bei einigen Besuchern des Westends hat es das bereits: Sie entdeckten, daß sie zur Kunst berufen sind und hängten ihren Beruf an den Nagel.

An Vorwürfe sind die BetreiberInnen der soziokulturellen Einrichtungen gewöhnt. Von den Schaffenden der Hochkultur werden sie als KleinkünstlerInnen abgestempelt, von SoziologInnen als SelbstverwirklicherInnen diffamiert, von PolitikerInnen jahrelang nur als QuerulantInnen wahrgenommen. Die Bremer Szene der Soziokultur hat der Berliner Urbanistik-Forscher Albrecht Göschel durchleuchtet. „Die Vorstellung, es könne auf Dauer zu einer völlig neuen Kulturform kommen, hat sich nicht realisieren lassen“, meint er. Die selben Prozesse seien in den alternativen Kultureinrichtungen am Werk, wie in den etablierten. Im Klartext heißt das, daß die Läden professioneller werden, durch die Veranstaltungen die Klientel der BesucherInnen bestimmen.

Das passiert im Kulturzentrum Schlachthof. „Wir ziehen nicht mehr die kulturfernen Schichten an“, sagte Elke Heiduck. Vor allem die neuen Mittelschichten kommen zu den Konzerten, Workshops und Ausstellungen in den Schlachthof. Die VeranstalterInnen versuchen immerhin noch für verschiedene Alterklassen Aktionen anzubieten: Mit den Punk-Konzerten werden die 14 bis 25jährigen an das Haus gebunden, für Leute bis 45 gibt es „Roots-Konzerte“. Über die Halle finanziert der Schlachthof dann auch einen Großteil seiner Ausgaben. Trotz 225.000 Mark im Jahr aus dem Kulturressort für Projekte, ist auch im Schlachthof – wie in allen Soziokulturläden – die Decke dünn. Um dem Vorwurf aus der Szene entgegenzuwirken, der Schlachthof würde nur noch Veranstaltungen machen, startet dort ab Sommer eine Reihe zu politischen Fragen wie die „Umgestaltung der Bürgerweide“. Alle im Haus angesiedelten Projekte – Galerie, Architekten-Werkstatt, Musikgruppen – sollen dabei zusammenarbeiten. „Auf so einer sinnlichen Ebene wollen wir dann ein neues Profil gewinnen“, sagt Elke Heiduck.

Kommerzieller als früher, mit gesicherterer staatlicher Unterstützung als früher, und doch immer am Rande des Abgrunds. Nach dem Ende des ABM–Zeitalters glaubte auch Cäcilie Eckler-von Gleich vom Waller Brodelpott an das Ende ihrer Kulturarbeit. Doch die von einigen als bloßer „Nachbarschaftstreff“ abgekanzelte Arbeit im Brodelpott hat sich bezahlt gemacht. „Wir sind für den Durchschnitt der Bevölkerung da“, sagt Cäcilie Eckler-von Gleich. Und das seien nun mal ältere Menschen, in den vielfältigen Kursen hauptsächlich Frauen, die zumindest mal aus dem Hause kommen, nicht vor Fernseher und Schnapsflasche hängenbleiben. Der Anteil der festen NutzerInnen im Brodelpott hat sich in den vergangenen vier Jahren verzehnfacht. Das läge sicherlich auch daran, daß die wenigen festen MitarbeiterInnen konzentrierter Projekte anbieten, stärker auf die Bedürfnisse der Klientel achten. „Es gibt aber immer noch Verbesserungsmöglichkeiten.“

Besser und durchsetzungsfähiger hoffen die 18 soziokulturellen Einrichtungen in Bremen durch die neue Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur zu werden. Ein fester Mitarbeiter – vom Kulturressort und den Einrichtungen paritätisch bezahlt – soll die Zentren vor der Behörde vertreten, Treffen mit anderen Landesverbänden organisieren und bislang nicht angezapfte Geldtöpfe finden. Die Bürgerhäuser als ehemals sozialdemokratisch verordnete Kulturhäuser gehören nicht der LAG an. Bei Treffen mit VertreterInnen aller 18 alternativen Kulturprojekte wird wieder diskutiert, gestritten, beschlossen. Wie in alten Zeiten. „Da muß man wieder bei Null anfangen!“, meint eine Vertreterin. Ein bißchen weiter sind sie wohl schon. Und wenn nach 20 Jahren vernetzter Kulturarbeit soviel rauskommt wie bisher, wird Bremen doch eines Tages zu einem prächtigen und blühenden Kulturgarten werden. Ulrike Fokken