Reißfest und gefühlsecht

Polyurethan statt Latex / Die neuen Kondome sind zwar dünner, halten aber länger  ■ Von Friedrich Hansen

Italienisch ist der Name eines neuen Hightech-Kondoms, das unlängst der weltgrößte Kondomproduzent, die London International Group (LIG), präsentierte. Avanti heißt nicht ohne Anspielung der Prototyp einer schon längst herbeigesehnten neuen Kondom-Generation, denn das Latex-Kondom ist nun schon über 60 Jahre alt. Es wurde seit den 30ern jahraus, jahrein auf immer die gleiche Art hergestellt. Avanti wird zunächst auf dem US-Markt westlich der Rocky Mountains getestet, vor allem in der Trendsetterszene Kaliforniens. Von dort hört man, daß bei den derzeit sexuell aktiven Schwulen Safer Sex wieder verpönt ist. Das könnte sich bald ändern.

Denn das synthetische Polyurethan gilt als doppelt so haltbar wie natürliches Latex. Deshalb sind Avanti-Kondome viel dünner als herkömmliche. Wie sich denken läßt, geht die Hoffnung dahin, den Genuß zu steigern und immer mehr Kondom-Muffel zur Konversion zu bewegen. Der Mediziner Mervyn Silverman, Präsident der US-Stiftung für Aids-Forschung, behauptete kürzlich, Polyurethan übertreffe Latex nicht nur an Reißfestigkeit und Undurchlässigkeit für Viruspartikel, sondern es steigere auch die sexuellen Empfindungen, weil es besser erwärmt als Latex. Von seinen Testpersonen wird Polyurethan als geruch- und farblos beschrieben. Avanti kann, anders als Latex- Kondome, ohne Einbuße seiner Eigenschaften in Verbindung mit öligen Gleitmitteln wie Vaseline angewendet werden.

Ein weiterer Pluspunkt: Die synthetischen Polyurethan-Kondome bieten eine willkommene Alternative für das allergieträchtige natürliche Latexgummi. Weitaus weniger als bei Freizeitaktivitäten holt man sich Allergien durch häufiges Tragen von Latex- Handschuhen im Kosmetik- und Medizinbereich. Zehn Prozent der im Gesundheitswesen Beschäftigten leiden bereits darunter. Zwar hat Avanti die vorgeschriebenen branchenüblichen Tests bereits bestanden. Die US-Kontrollbehörde verlangt beispielsweise, daß ein Kondom, ohne zu reißen, auf mehr als die Größe einer Wassermelone aufgeblasen werden kann. Die Eignung von Avanti für Safer Sex ebenso wie für die Empfängnisverhütung wird derzeit noch von der US-Behörde FDA untersucht.

Weibliche Kondome sind zuvor schon aus ähnlichem Material wie Polyurethan hergestellt worden. Bereits 1991, als die HIV-Rate bei Frauen in den USA um 17 Prozent hochgeschnellt war, hatte die FDA zum ersten Mal ein neues Frauen- Kondom zugelassen. Dieser Vaginalbeutel zum Preis von zwei Dollar hatte sich wegen seines abstoßenden Designs nicht durchgesetzt. Aids-Experten in aller Welt sind sich darin einig, daß auch im Falle bahnbrechender medizinischer Fortschritte in der Aids-Behandlung die Prävention der genitalen Ausbreitung von HIV auch in Zukunft nichts von ihrer Bedeutung verlieren wird, weil die medizinische Behandlung für die große Mehrheit der Aids-Patienten unerschwinglich bleiben wird. Mit den verbesserten Eigenschaften der neuen Kondom-Generation steht nun ein wirksames Mittel gegen die immer noch weiter zunehmende Ausbreitung von HIV zu Verfügung. Kondome schützen nicht nur vor der HIV-Infektion, sie sind auch eine wirksame Barriere gegen solche Menschheitsgeißeln wie penicillinresistente Tripperbakterien, schwer nachweisbare Chlamydien und quälende genitale Herpes-Erkrankungen.

In Europa sind Polyurethan- Kondome noch nicht zu haben. Der Produktmanager der deutschen LIG, Eichborn, äußerte sich sehr zurückhaltend. Er will erst einmal abwarten, wie die Akzeptanz des neuen Kondoms in den USA ausfällt. Mitte der 80er Jahre, als die Aids-Prävention aus der Taufe gehoben wurde, erlebte die Kondom-Industrie einen ungeheuren Aufschwung. Zuvor waren Kondome unter dem Ladentisch verkauft worden und galten als Requisit der Halbwelt. Nur Japan, wo sich die Antibabypille nie hatte durchsetzen können, machte eine Ausnahme. Dort bevorzugten schon vor der Aids-Epidemie 80 Prozent der sexuell aktiven Männer die Latex-Gummihüte zur Empfängnisverhütung.

Im Westen wurde erst durch Aids ein wahrer Boom für Kondome ausgelöst, nur noch übertroffen von der Nachfrage nach Latex- Handschuhen für den Medizinbetrieb. Beide Produkte konnten von denselben Maschinen produziert werden und machten die Latex-Industrie zu einer Goldader. Japan allein aber verbraucht mit jährlich fast einer Milliarde Kondomen immer noch dreimal so viele wie die USA, wo nach wie vor nur 20 Prozent der Männer zum Präservativ greifen. Bill Potter, wissenschaftlicher Direktor bei LIG, will deshalb mit Avanti neue Marktanteile in den USA erobern. Ab Mitte 1995 sollen auch die Staaten östlich der Rockies beliefert werden.

Die neuen Polyurethan-Produkte werden doppelt so teuer sein wie die herkömmlichen Kondome. Wesentlich teurer sind reine Naturkondome. Sie werden nach einer mehr als 400jährigen englischen Tradition aus Schafszökum hergestellt. Das ist ein dem menschlichen Blinddarm vergleichbarer Abschnitt des Schafsdarmes. Einziger Nachteil: der etwas muffige Geruch. Heutzutage werden Naturkondome in den USA von den Erben des ehemaligen Wurstfabrikanten Julius Schmid unter dem Markennamen „Fourex“ zum Preis von 20 Dollar für sechs Stück vertrieben. Den Naturdarm bezieht die Firma aus Neuseeland, weil die Schafe dort gesund aufwachsen und deren Zökum dort – wie es heißt – genau die richtige Größe hat.