■ Mit Verve machen sich die Republikaner an die Zertrümmerung des sozialpolitischen Erbes des „New Deal“
: Reagan à la carte

Es wird wieder Reagan à la carte serviert — angerichtet mit dem Sozialdarwinismus und Zynismus der neunziger Jahre aus dem Hause Gingrich. „Gesetz zur persönlichen Verantwortung“ lautet der Entwurf, der angeblich das Sozialhilfesystem der USA reformieren soll. Hinter diesem Euphemismus steckt nichts weiter als die Zerstörung des ohnehin schon zerfressenen Sozialnetzes.

Was da in der letzten Woche im US-Repräsentantenhaus als „Personal Responsibility Act“ verabschiedet wurde, ist, wie gesagt, noch kein Gesetz. Noch fehlt die Zustimmung des Senats und die Unterschrift des Präsidenten. Doch im Senat, so steht zu befürchten, sitzen genügend Politiker, die sich mit ein paar Modifikationen zufrieden geben, bevor sie ihr Ja-Votum abgeben.

Und Bill Clinton, dem man vor zwei Jahren noch die modernisierte Version eines New Deal zugetraut hatte, macht keine ernstzunehmenden Anstalten, die Demontage des alten Sozialvertrages zu verhindern. Schließlich war es Clinton gewesen, der mit seiner ureigenen Mischung aus Reformbestreben und Anbiederung an das weiße konservative Lager das Thema Sozialhilfe zum Manöverplatz für die Moralpropagandisten gemacht hatte.

Keine Frage: Das amerikanische Sozialhilfesystem ist dringend reformbedürftig. Die Betroffenen wissen das am besten, denn es ist ihr Leben — und das ihrer Kinder —, welches in einem Teufelskreis von staatlicher Abhängigkeit und Billigstlohnjobs verpfuscht wird. Doch was da in der letzten Woche im Repräsentantenhaus verabschiedet wurde, ist eine Kriegserklärung. Nicht gegen die Armut, sondern gegen die Armen.

Vor allem gegen arme Frauen und ihre Kinder.

Vor allem gegen arme schwarze Frauen und ihre Kinder.

Ihre Gesichter werden gezeigt, wenn die Medien über welfare berichten; ihre Gesichter werden assoziiert, wenn Politiker, in Anspielung auf tief verwurzelte Vorurteile über die Sexualität der Schwarzen, gegen vorehelichen Sex, Promiskuität und uneheliche Kinder zu Felde ziehen — und dabei ganz bewußt eine perfide Verkehrung von Ursache und Wirkung vollziehen: Sie erklären den Zerfall der Familie zur Ursache ihrer Verarmung.

Die ökonomische Analyse von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung war in den USA noch nie sonderlich beliebt. Jetzt ist sie vollends von einer heuchlerischen Debatte um Moral verdrängt, in der Scham und Stigma an die Stelle sozialer Hilfe treten, SozialhilfeempfängerInnen mit Reptilien verglichen werden und Bücher auf die Bestsellerliste kommen, die vorgeben, die genetische Inferiorität von Schwarzen zu beweisen.

Was immer aus dem infamen „Personal Responsibility Act“ wird — die Diskussion allein hat bereits einen deutlichen Vorgeschmack auf den nächsten Wahlkampf gegeben. Andrea Böhm, Washington