: Wider die „juristische Delegitimerung der DDR“
■ Ein Häuflein aufrechter Ostler wehrt sich gegen „Siegerjustiz“ im vereinten Deutschland
Berlin (taz) – Dick und fett soll er werden, der Schlußstrich unter die Vergangenheit. Der „politischen Strafverfolgung“, da sind sich die Anwesenden am Samstag im preußischen Landtag einig, muß endlich ein Ende bereitet werden. Eingeladen hat der PDS- Bundestagsabgeordnete Uwe- Jens Heuer, zur Anhörung: „Amnestiedebatte und Schlußgesetz“. Dem knappen Dutzend ReferentInnen folgen rund 80 Zuhörer, wenige Frauen, hohes Durchschnittsalter.
Zur Diskussion steht der Entwurf eines „Schlußgesetzes“, den das „Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden“ vorgelegt hat. „Klare und durchhaltbare Positionen“ macht der rechtspolitische Sprecher der PDS darin aus. Heuer freut sich über die wohlwollende „Einmütigkeit“, auf die das Papier stößt. Was Wunder, schließlich dürfte die darin geforderte „Straffreiheit für alle Handlungen, die in Ausübung hoheitlicher Aufgaben sowie in Ausübung einer Dienst- oder Rechtspflicht der DDR erfolgten oder teilungsbedingt waren“, vor allem den Anwesenden und ihrer Klientel zugute kommen. Der „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“ etwa, durch den Rechtsanwalt Hans Bauer vertreten. Bauer: „Dem Exzeß der politischen Verfolgung“ muß endlich Einhalt geboten werden. Eine Amnestie kommt für ihn nicht in Frage, die Betroffenen hätten „nicht die Absicht, einen kollektiven Gnadenakt einzufordern“. Auch Evelyn Kenzler, Chefin der Juristenvereinigung „VDJ-Ost“, unterstützt den Entwurf als „Angebot eines Kompromisses“. Wie die meisten Anwesenden ist sie der Meinung, die „Welle von Strafverfahren“ diene der „juristischen Delegitimierung der DDR“.
„Die Straffreiheitserklärung soll dazu dienen, daß zusammenwächst, was zusammengehört“, heißt es im Entwurf, „daß nach dem Vollzug der staatlichen Wiedervereinigung (...) die produktiven Potenzen aller Deutschen für die Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit freigesetzt werden.“ Verabschieden könnte der Bundestag den Entwurf aus Anlaß des fünften Einheitstages. Dann würde gelten: „Bürger der DDR, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Aufgaben für den Staat und seine Behörden tätig wurden, werden nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“
Weiter sieht der Entwurf vor: „Bisher vollzogene Strafen, bezahlte Geldstrafen und Gerichtskosten bleiben von diesem Gesetz unberührt.“ Eine „enorme Konzession“, wie einer der Referenten meint, ein Kompromiß, „weil Recht und Gerechtigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sind“.
Auch BundesbürgerInnen aus dem Westen sollen freigestellt werden, wenn die ihnen zur Last gelegten Handlungen „teilungsbedingt“ waren. Die Regelung zielt auf frühere DDR-Agenten. Bloß die sind von den Plänen wenig begeistert.
Gabriele Gast, 21 Jahre Kundschafterin im westdeutschen Bundesnachrichtendienst und dafür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, empört sich nachhaltig. „Entsetzen“ packt sie, „über die Gedankenverirrungen“, etwa in der Präambel. Darin werde „implizit anerkannt“, daß die DDR „von A bis Z ein Unrechtsstaat“ gewesen sei. Der Entwurf buhle um Straffreiheit für alles staatliches Handeln der DDR. Grundpositionen würden damit aufgegeben, der „Opportunismus“ sei mit Händen zu fassen. Während im Publikum eine Unterschriftenliste der „Kundschafter für den Frieden“ mit einem Appell für Hafterleichterungen kursiert, rechnet Gast ab: „Verhaftet, weil von Funktionsträgern der DDR verraten – verurteilt, weil von Funktionsträgern der DDR denunziert.“ Dieser Gesetzentwurf sei „ein eklatanten Rückschritt“ selbst hinter die Amnestiebemühungen von CDU/ CSU im Herbst 1990. Heuer hat Mühe, die Diskussion in die Bahnen zu zwingen. Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen