Ein Objekt, nichts weiter

■ Ist das Berliner Holocaust-Denkmal nichts als Materialschlacht? Ein Gespräch mit Renata Stih und Frieder Schnock, die eine Buslinie zum Gedenken vorschlagen

Die Entscheidung im Wettbewerb um die Gestaltung des Berliner Holocaust-Denkmals wird unterschiedlich aufgenommen. Für die einen schafft der Stahlträger- Minimalismus von Simon Ungers eine ideale Leerfläche, um der Opfer zu gedenken. Auf der anderen Seite scheinen solche Mammut- Memorials nicht mehr zeitgemäß und auch über das Ziel hinauszuschießen. Statt Symbolen sind Informationen und Kontexte gefordert, gerade im Falle der Judenvernichtung. Renata Stih und Frieder Schnock haben bereits im Juni 1993 ein Denkmal im Bayerischen Viertel von Berlin realisiert, das den Betrachter mehr mit Spuren der Vergangenheit im Sichtbarmachen von Sachverhalten konfrontiert als mit abstrakten Objekten. Sie haben an verschiedenen Plätzen kleine piktographische Schilder plus Dokumentationstexten angebracht, die etwa mit dem Bild eines Bürostempels auf den Erlaß hinweisen, daß während der Nazi- Zeit jüdische Beamte aus dem Staatsdienst entlassen wurden. Ein aktives Museum im öffentlichen Raum: Für das Holocaust-Denkmal hatten sie auf dem Gelände einen Bustransfer geplant, der zu den Konzentrationslagern und einer Berlin-Fahrt zu den Orten jüdischen Lebens führen sollte.

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taz: Ihr Vorschlag, statt der Gedenkstätte einen Linienbusverkehr einzurichten, drang bis in die Endausscheidung des Wettbewerbs vor. Wundert Sie das nicht?

Renata Stih: Ich muß sagen, daß uns die Diskussion, die der Ausschreibung voranging, provoziert hatte. Es sollte wieder solch ein Staatsdenkmal werden, größer und pompöser als die Neue Wache. Dazu kam dieser anmaßende Ton der Initiativgruppe, die tut, als könne sie ein ganzes Land vertreten und die Leute instrumentalisieren. Dem sollte ein Kontrapunkt zur Diskussion entgegengesetzt werden. Uns war bei der Abgabe klar, daß der Entwurf niemals zur Realisierung kommen würde.

Frieder Schnock: Wir wollten einen Diskussionsbeitrag aus dem Wettbewerb heraus schaffen.

Stih: Im Grunde haben wir gedacht, daß man an so etwas nicht teilnehmen kann. Aber man muß bei einer Sache von solchem Ausmaß ein Statement abgeben. Nachdem wir das Projekt am Bayerischen Platz gemacht haben, verlangte es danach, schließlich geht es auch um Verantwortung. Das Konzept entstand bei einem Besuch in Weimar, als Paul Maenz seine Kunstsammlung der Stadt übergab. Er sagte, daß Weimar für ihn die deutscheste Stadt sei, und zwar wegen der historischen Linien: Goethe, Bauhaus, Nietzsche, Buchenwald. Am Tag nach der Einweihung sind wir nach Buchenwald gegangen, und es war ein Schock, zu sehen, wie weit das abgetrennt ist von der Stadt, dem Tourismusrummel und den Marzipan-Goethes. Dazu im Gegensatz dann der absolute Kahlschlag oben in Buchenwald. Auf einmal war uns klar, daß man die Leute dazu bringen muß hinzugehen, auch die, die Angst davor haben.

Das Konzept sollte einen Kontext zwischen der Stadt und Orten wie der Wannsee-Villa herstellen. Dort wird vor Ort mit bescheidenen Ausstellungen und einem umfangreichen Archiv, inklusive Stichwortcomputern, gute Arbeit geleistet. Und dann der Blick hinüber zum Strandbad Wannsee, wobei Juden das Betreten des Strandbads verboten war. Natürlich haben wir auch an „Topographie des Terrors“ gedacht. Für mich gibt es keine bessere Institution, die erinnert, als deren aktives Museum. Das ist auch mit aller Bescheidenheit, wenn nicht Demut gemacht – alles, woran es dieser Ausschreibung zum großen jüdischen Denkmal gemangelt hat. Wir nennen es immer das finale Denkmal, zur Glorifizierung wahrscheinlich derer, die da initiativ geworden sind. Für mich ist das eher ein Lea- Rosh-Denkmal als eines zur Erinnerung der Opfer.

Frau Rosh hatte von Anfang an die israelische Gedenkstätte Yad Vashem zum Vorbild, die sie in ähnlichem Umfang auch in Deutschland installiert sehen wollte. Hat diese Fixierung den Wettbewerb geprägt?

Stih: Ja, das ist komisch. Es gibt öfter Frauen, die sich unglaublich mütterlich einer Sache annehmen. Ein Problem war aber auch die Strategie, bestimmte internationale Künstler einzuladen.

Schnock: Das Bestreben war, auf Nummer Sicher zu gehen, auf jeden Fall etwas zu bekommen. Eine rein technokratische Sicht: Wir brauchen ein Ergebnis, und dann müssen wir das realisieren. Es geht nicht um Diskussionsprozesse.

Schon zu Beginn blieb die Frage offen, ob ein Denkmal, eine Gedenkstätte oder ein Museum gebaut werden soll. Ihr Entwurf hat sich diesen Möglichkeiten entzogen. Im Grunde bleibt das Gedenken bei „Bus Stop“ immateriell.

Schnock: Genau das soll rüberkommen. Wir mußten natürlich formale Zugeständnisse an den Wettbewerb machen, um nicht sofort ausjuriert zu werden. Trotzdem haben wir versucht, die Vorgaben zu unterlaufen. Es ist nur ein Zusatzangebot, denn die Gedenkstätten in Berlin leisten ohnehin einen Großteil der Arbeit.

Stih: Es gibt eben „Topographie des Terrors“ und ein Jüdisches Museum, hoffentlich bald. Ich habe mich überhaupt gewundert, warum Amnon Barzel, der einerseits aus der modernen Kunstszene kommt und andererseits dieses Museum leiten wird, nicht bei den Beratungen hinzugezogen wurde.

Schnock: Er ist jedenfalls ein Kenner der modernen Kunst, als früherer Direktor des Museums für moderne Kunst in Bratow.

Stih: Das Eigenartige an der ganzen Geschichte ist, daß, abgesehen von Harald Szeeman, kein Fachmann aus der zeitgenössischen Kunstszene in der Jury war. Ich hätte mir beispielsweise gewünscht, daß man Jean-Christophe Ammann fragt, der in Frankfurt ein ganz anderes Museum leitet, als es hier in Berlin möglich ist. Leute, die irgendwie einen sozialen Umraum mit einbeziehen in die Art, wie sie Dinge präsentieren. Und das ist nicht geschehen, es ist im Grunde ein Historiker-Wettbewerb geworden.

Hat das nicht mit der Angst zu tun, daß zeitgenössische Kunst nicht genügend Reverenz an die historischen Fakten liefert, sondern eigenständige Zeichen produziert?

Schnock: Ich glaube, tatsächlich war genau das gewünscht. Man wollte ein Objekt, nichts weiter.

Stih: Für uns war es die Frage der Psychologie der Sache: Wen erreicht man? Und wie? Man muß sehen, was eine jüngere Generation anspricht, wie sie auf Sachen zugehen. Und in dem Fall kann ich nur sagen: Für wen ist dieses Denkmal eigentlich? Ist es für die Leute, die in zehn Jahren vielleicht schon tot sind, oder ist es wirklich für die folgenden Generationen, damit sie mit der Geschichte umgehen können? Man kann mir doch nicht erzählen, daß sich heute ein Sechzehnjähriger schuldig für Taten fühlt, die vielleicht sein Großvater begangen hat. Die globale Zuweisung von Schuld funktioniert nicht, die Leute lehnen das ab, und dann hat es keinen erreicht. Die Frage ist, wie man solche Dinge vermeidet, das ist ein Anspruch an Demokratie, so wie Beuys es formuliert hat. Ich bin sehr unglücklich, daß er nicht mehr lebt, sonst hätten wir eine ganz andere Diskussion. Warum hat man nicht Esther und Jochen Gerz, Hans Haacke oder auch Baudrillard eingeladen, und vor allem – warum ist der Wettbewerb auf Deutschland beschränkt worden und nicht europaweit ausgeschrieben worden? Schließlich war ganz Europa betroffen.

Bei der Presseerklärung zur Entscheidung fiel der Satz, das Denkmal komme 50 Jahre zu spät. Auch deshalb sollte das Ergebnis in seiner ästhetischen Form in die Vergangenheit zurückreichen und nicht an der Aktualität von Kunst orientiert sein.

Schnock: So wie der Werbefilm zur Spendenaktion. Der ist sicher zeitlos schlecht. Er hätte in dieser Machart genausogut 1945 und 1955 gedreht werden können. Von einer Medieninitiative hätte man professionelleres Marketing erwarten dürfen.

Aber es geht bei dem Denkmal doch eben nicht um ästhetische Avanciertheit, sondern um die Verbindung mit der Geschichte. Wie sonst soll man Generationen ansprechen, die bereits vergessen haben, wenn nicht über deren ästhetisches Verständnis? Ein Widerspruch liegt eher darin, daß auch diese Generationen, auch Lea Rosh, in einer Zeit geprägt wurden, als Kunst sehr viel mit Diskussionsprozessen zu tun hatte.

Stih: Man darf nicht vergessen, daß am vorigen Montag ebenfalls das Denkmal zur Bücherverbrennung von Micha Ullman eingeweiht wurde, und das ist völlig unprätentiös.

Schnock: Da ist auch ein vergleichbarer Ansatz zu unserem Entwurf. Ausgangspunkt sind einfache Umstände: Wie komme ich nach Sachsenhausen? Nehme ich die U- oder S-Bahn? Von Berlin aus muß man auf dieser Fahrt dreimal umsteigen und noch ein ganzes Stück laufen. Deswegen ist es für uns vollkommen logisch, zu sagen, da gibt es eben den Bus. Es kann nur darum gehen, die Orte und Geschehnisse intelligent zu vermitteln, was mir kaum mit einem pathetischen Denkmal lösbar erscheint. An unserem Entwurf wurde beispielsweise die Kritik geäußert, daß die Busse auch zu Konzentrationslagern fahren würden, an denen nichts mehr zu sehen ist. Aber nicht das Bild ist entscheidend, was man sich von dem Lager macht, sondern der Wille, sich Zeit zu nehmen, in den Bus zu steigen und die Fahrt anzutreten.

Anders als in der Auftrennung zwischen einem Denkmal für Juden und einem für Sinti und Roma unterscheidet „Bus-Stop“ nicht zwischen den Opfern.

Stih: Schon bei der Ausschreibung hat mich die Gewißheit befremdet, mit der den Opfern ihre Orte zugewiesen wurden: Juden hier, Sinti und Roma hundert Meter weiter und die Homosexuellen am Nollendorfplatz. So wie auch die Jury sich total von der Öffentlichkeit abgegrenzt und in die Akademie der Künste zurückgezogen hat. Statt dessen hätte man bei den Besprechungen ganze Stadtviertel mit einbeziehen können. Warum wurden die Beiträge nicht vor der Jury-Entscheidung öffentlich präsentiert und diskutiert?

Dagegen läuft Ihr Entwurf Gefahr, zu sehr einem touristischen Unternehmen zu ähneln.

Schnock: Was ist an Touristen so verkehrt? Die sehen sich Dinge zumindest intensiver an als Leute, die seit Jahrzehnten schon am Ort leben. Der Kern des Angebots ist ja, daß man auf Zusammenhänge aufmerksam wird: Wenn man nach Hannover geht, ist es Bergen-Belsen, so wie Dachau zu München gehört und Flossenbrück zu Nürnberg. Breslau und Großrosen, Danzig und Stutthof.

Stih: Die Leute sollen entdecken, daß es überall in ihrer Umgebung Lager gab. Wer wußte schon, daß im Berliner Bezirk Neukölln eine Art Sammelstelle war und daß es im Bayerischen Viertel sogenannte Judenwohnungen gab, in denen die Leute aus ganz Berlin zusammengepfercht wurden. Was jetzt entstehen soll, ist eine jämmerliche Materialschlacht. Ich glaube, daß man dieses Denkmal in zwanzig oder dreißig Jahren ebenso abbauen wird wie diese für die Ewigkeit gemachten Lenin- Denkmäler. Irgendwann wird man sagen: Natürlich gedenken wir der Opfer, aber so doch nicht. Und dann macht man's kleiner, stutzt es zurecht oder begrünt die Fläche. Ich weiß gar nicht, was Größe mit der Idee des Gedenkens an Opfer zu tun haben soll.

Schnock: Platt ist auch der von Simon Ungers mit den Doppel-T- Trägern angestrebte Bezug zu den Eisenbahnschienen. Da wäre die Deutsche Bahn vielleicht ein ganz direkter Ansprechpartner, sich der Verantwortung bewußt zu werden und in den Faltblättern „Ihr Zugbegleiter“ Hinweise zu den Orten zu geben, die man passiert. Wenn man von Hannover nach Bremen fährt, dann sollte man auch wissen, wie man Bergen-Belsen erreichen könnte. Was unseren Entwurf betrifft: 1995 ist der Jahrestag für 100 Jahre Omnibus. Da könnte eine Firma wie Daimler-Benz durchaus aktive Trauerarbeit leisten.

Ihr Konzept ist in der Absicht, möglichst vielschichtige Informationen zu versammeln, stark an Museumspädagogik angelehnt.

Schnock: Wir sind davon ausgegangen, was für eine große Rolle im modernen Museum die intelligente Vermittlung spielt. Es ist immens wichtig, daß sich die Leute vor Ort über Hintergründe informieren können. Jetzt muß man aufpassen, daß man mit dem Holocaust-Denkmal nicht hinter diese Museumspädagogik zurückfällt.

Seltsamerweise hat sich niemand damit beschäftigt, welche Rolle der Ort des Denkmals für Medien wie das Fernsehen spielen wird. Immerhin befindet es sich in der Mitte der Hauptstadt.

Stih: Doch, die amerikanische Botschaft hat sich genau mit diesem Aspekt beschäftigt. Sie gab den Juroren zu bedenken, daß man jedesmal, wenn man die neue amerikanische Botschaft fotografieren wird, auch dieses Denkmal im Visier hat. Aber vielleicht war diese Nachbarschaft bei der Wahl des Denkmalstandorts auch eine zielgerichtete Überlegung. Das Gespräch führte

Harald Fricke