piwik no script img

Geld stinkt den Puritanern

■ MariAnn Chronblad, in Växjö Lektorin für Ethnologie, über die Schweden und das Geld

taz: Schweden hat es geschafft, binnen weniger Jahre zu den höchstverschuldeten Ländern der EU zu gehören. Sind die SchwedInnen besonders verschwendungssüchtig?

MariAnn Chronblad: Man kann nicht von der Staatskasse auf den einzelnen Bürger schließen. Doch hat es sich wegen der Steuerbelastung bis vor einigen Jahren gelohnt, Schulden zu haben und nicht zu sparen. Auffallend geizig sind wir Schweden jedenfalls nicht.

Wenn man eine Zigarette möchte, fragt man, ob man eine „leihen“ darf. Man „leiht“ sich auch ein Telefon, wenn man anrufen möchte, und dann gibt es die unsägliche Frage: „Darf ich die Toilette ausleihen?“ Läßt diese absolut übliche Floskel nicht auf eine Gesellschaft von Geizhälsen schließen?

Wir wollen niemandem etwas schuldig bleiben. Das heißt aber nicht, daß wir den anderen für einen Geizhals halten, der sogar die Toilettenbenutzung irgendwann zurückhaben will. Wir bedanken uns ja auch ununterbrochen. Man will dem anderen nicht zur Last fallen, ständig reinen Tisch machen – und wenn man jemandem etwas schuldig bleibt, dann allenfalls der Bank. Das ist aber kein Ausdruck von Geiz, sondern ein Teil der solidarischen Moral, die die Gesellschaft noch immer stark prägt.

Man hört selten von schwedischen Millionären, die sich goldene Badewannen in die Villa und drei spezialangefertigte Rolls- Royce in die Garage stellen.

Selten? Wohl nie. Da schlägt das durch, was man uns als „Mittelmäßigkeit“ vorwirft. Nur nicht auffallen! Wenn man zuwenig hat, darf der Nachbar das nicht wissen. Nach wie vor ist es eine große Schande, von „der Sozialen“ zu leben, also Sozialhilfe zu bekommen. Wenn man genügend hat, darf man das auch zeigen. Wenn es aber zuviel ist, wird es wieder versteckt. Schwedische Millionäre kaufen sich keine goldenen Badewannen. Sie beteiligen sich eher an einem Fernsehsender. Oder sie wandern aus.

Leben in Saus und Braus ist also auf alle Fälle unschwedisch?

Wir sind doch alle im lutherischen Geiste erzogen. Auf die Pauke hauen darf man zu den drei traditionellen Feiertagen: Erster Mai, Mittsommer und dem Krebsfest im August. Aber wenn man offensichtlich unnötige Dinge kauft und exzentrische Sachen macht, dann geht der Daumen der Öffentlichkeit nach unten. Da emigriert man besser gleich nach Monaco. Unser letzter exzentrischer Millionär, der „Streichholzkönig“ Ivar Kreuger, ging mit seiner Verschwendungssucht prompt in Konkurs. Da sieht man, wo das endet.

Gar nicht so tief im Inneren schlummert aber offenbar die Lust, über die Stränge zu schlagen. Stichworte: SchwedInnen im Urlaub, SchwedInnen und der Alkohol.

Das sind die gesellschaftlich erlaubten Ventile. Gegen Essen, Trinken und Sex hatte ja auch Luther nichts einzuwenden. Aber sowohl gegen Geiz als auch gegen Verschwendung. Es gibt, glaube ich, nicht viele Länder, in denen wie bei uns in jedem Supermarkt an der Kasse eine Sammelbüchse steht, in die man das Wechselgeld für einen wohltätigen Zweck spenden kann. Es gilt hier als typisch deutsch, auf Heller und Pfennig abzurechnen. Das ist die eine Seite. Aber wer durch Stockholm läuft und mit 1.000-Kronen-Scheinen um sich wirft, kommt auch nicht weit. Allenfalls bis zur nächsten Polizeistreife.

Ob man viel oder wenig Geld hat, ist in Schweden also keine Privatangelegenheit?

Nein, absolut nicht. Bei uns ist der Staat zuständig, wenn es uns schlechtgeht. Und nicht etwa die Familie. Deshalb gilt es auch als gesellschaftsfeindlich, sich ums Steuernzahlen zu drücken. Solidarisch gegenüber der Staatskasse zu sein gilt nicht als Schwachsinn, sondern als Selbstverständlichkeit. Das unterscheidet uns sicher von vielen Ländern.

Woanders gibt es ein Steuergeheimnis. Hier werden die Steuerlisten jedes Jahr in der Zeitung veröffentlicht. Jeder, den es interessiert, kann nachlesen, wieviel der Ministerpräsident, der Arzt, die Lehrerin oder sein Nachbar verdient hat. Das ist ganz offen. Dazu gehört auch, daß hier weder Geizhälse noch Verschwender gut gelitten sind, weder Steuerhinterzieher noch Glücksspieler.

Lotto, Bingo und Pferdewetten finden aber unglaublich viele Liebhaber.

Mir scheint, das ist vor allem der Reiz des Spiels. Man spielt nicht zweimal in der Woche stundenlang Bingo, um Geld zu gewinnen. Zumal der Einsatz höher ist als beim Lotto. Beim Bingo besteht der Hauptgewinn in lumpigen zwei Pfund Kaffee. Und wenn sie sich die Interviews mit den Lottomillionären anschauen: Die sind doch allenfalls furchtbar erschrocken darüber, daß sie gewonnen haben, und wissen gar nicht so recht, was sie mit der Knete tun sollen. Geld stinkt!

Was würden Sie mit einem 5-Millionen-Lottogewinn machen?

Ich bin Schwedin. Da gäbe es eine Weltreise, ein anderes Auto, ein neues Ferienhaus. Glauben Sie bloß nicht, ich würde es verschwenden. Interview:

Reinhard Wolff, Stockholm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen