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Flüssiges Geld durch die Kehlen

Geld ist am besten in Bier angelegt, finden die Iren / Gern wird gespendet, dafür wird an Ausgaben für Heizung und Benzin der Ehefrau gespart  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Es war eine jener belanglosen Talkshows, wie sie jeden Morgen im irischen Radio laufen. Der Moderator hatte die ZuhörerInnen aufgefordert, anzurufen und den peinlichsten Moment ihres Lebens zu schildern. „Der siebenjährige Sohn meiner Schwester hatte in der Nachbarschaft zehn Pfund für einen wohltätigen Zweck gesammelt“, erzählte die erste Anruferin bereitwillig, „er wollte das Kleingeld gegen einen Geldschein eintauschen, weil das am nächsten Tag in der Schule mehr hergemacht hätte. Da niemand von der beim Sonntagsessen versammelten Verwandtschaft einen Zehn- Pfund-Schein hatte, bot sich mein Verlobter an, einen Scheck auszuschreiben. Der Kleine war begeistert – bis er den Scheck in den Händen hielt. Mein Verlobter hatte 15 Pence Scheckgebühren abgezogen. Ich wäre am liebsten im Boden versunken und überlege jetzt ernsthaft, ob ich solch einen Geizkragen heiraten soll.“

Bloß nicht, rieten die nächsten Anruferinnen, die das Thema der Sendung eigenmächtig geändert hatten und nun ihrerseits Horrorstories über knauserige Ehemänner erzählten. „Ich habe ein eigenes Auto vor der Tür, Modell 1993“, sagte Jane aus dem Dubliner Vorort Blanchardstown, „aber fahren kann ich damit nicht: Mein Gatte hat haargenau ausgerechnet, wieviel Benzin ich brauche, um die Kinder zur Schule zu fahren und nachmittags wieder abzuholen. Selbst einen Besuch bei meiner Mutter muß ich bei ihm beantragen, damit er einen Extraliter spendiert.“

Das sei ja gar nichts, meinte Christobel aus Cork: Ihr Mann nehme jeden Morgen die Schnur des elektrischen Teekessels mit zur Arbeit, damit sie nicht den ganzen Tag Tee trinke. Pauline aus Dundalk ergeht es noch schlimmer: „Mein Mann schraubt im Winter jeden Morgen die Drehknöpfe der Heizkörper ab und nimmt sie mit ins Büro, weil er meint, ich würde das Haus andernfalls in eine Sauna verwandeln. Bei der Hausarbeit würde mir schon warm, meint der Gauner sarkastisch.“ Wie in den meisten irischen Arbeiterfamilien zahlt ihr Mann die Rechnungen und gibt Pauline Wirtschaftsgeld, mit dem sie wahre Wunder vollbringen muß: Essen, Kleidung, Weihnachtsgeschenke, eine Urlaubsreise, Schulbücher, Küchengeräte und unvorhergesehene Ausgaben muß sie davon bestreiten.

Janes, Christobels und Paulines Ehemänner halten sich vermutlich keineswegs für geizig, und außer Haus sind sie es wahrscheinlich auch nicht. „Seine Freunde und Bekannten finden ihn amüsant und großzügig“, sagte Christobel, „wenn er kurz vor elf Uhr, wenn die Zapfhähne versiegen, noch schnell eine doppelte Runde bestellt.“ Jane bleibt meist freiwillig zu Hause, weil ihr die Kneipen zu verqualmt sind und sie ohnehin keinen Alkohol verträgt – ganz im Gegensatz zu ihrem Mann: „Für seine Saufkumpanen ist er der Größte“, sagte sie. „Einer von ihnen sagte mal bewundernd, daß er am Abend mühelos ein gutes Dutzend große Guinness in sich hineinkippen könne, ohne danach umzufallen. Die gleiche Menge an Benzin hätte nur ein Viertel gekostet, aber ich wäre damit fast bis nach London gekommen.“

Irland liegt in Europa weit an der Spitze, wenn es um Spenden für wohltätige Zwecke geht, obwohl das Einkommen irischer Haushalte nur rund zwei Drittel des EU-Durchschnitts beträgt. Noch mehr Geld als für Spenden – nämlich täglich mehr als eine Million Pfund – fließt in Form von Alkohol durch irische Kehlen. Das ist ein Achtel aller persönlichen Ausgaben.

Schon James Joyce gingen seine Landsleute in dieser Hinsicht auf die Nerven. Er schrieb über die Bewohner seiner Heimatstadt, sie seien „die hoffnungsloseste, nutzloseste und widerspruchsvollste Rasse von Scharlatanen, der ich je auf der Insel oder dem Kontinent begegnet bin. Der Dubliner verbringt seine Zeit mit Schwatzen und Rundgängen durch die Bars, Schenken und Spelunken, ohne je seine doppelten Quantitäten von Whiskey oder Home Rule satt zu kriegen, und nachts, wenn nichts mehr reingeht und er mit Gift angefüllt ist wie eine Kröte, stolpert er aus einem Nebenausgang und geht, geleitet vom instinktiven Wunsch nach Standhaftigkeit, der geraden Häuserfront entlang und schrubbt seinen Rücken an allen Mauern und Ecken.“

Zum Schluß der Sendung meldete sich erneut die Frau, deren Schilderung ihres knauserigen Verlobten die Anrufslawine geizgeschädigter Ehefrauen ausgelöst hatte. Ganz so schlimm sei ihr Liebster nicht, meinte sie: Schon nach sechs bis acht großen Bieren kippe er in der Kneipe um.

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