■ Mit einem drastischen Sparkurs setzen Bündnisgrüne und SPD in Hessen ihre Regierungskoalition fort. Doch ob nach der Streichorgie noch finanzieller Spielraum für die Fortschreibung rot-grüner...: Ein Reformprojekt auf Sparflamme
Mit einem drastischen Sparkurs setzen Bündnisgrüne und SPD in Hessen ihre Regierungskoalition fort. Doch ob nach
der Streichorgie noch finanzieller Spielraum für die Fortschreibung rot-grüner Reformpolitik bleibt, ist fraglich.
Ein Reformprojekt auf Sparflamme
Mit dem „Rasenmäher“ seien die Verhandlungspartner über die Vermögens- und Verwaltungshaushalte sämtlicher Ministerien hinweggefahren, monierte die am Samstag zurückgetretene Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Evelies Mayer (SPD). In der Tat: Die Sparkommissare der hessischen Bündnisgrünen kennen keine Tabus – bluten müssen alle, die im verkleinerten Kabinett von Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) MinisterIn werden wollen. Und das geht an die Substanz.
So haben sich SPD und Bündnisgrüne in harten Koalitionsverhandlungen darauf verständigen können, bis Ende 1999 exakt 2.750 Stellen in allen Bereichen der Landesverwaltung und der landeshoheitlichen Aufgabengebiete zu streichen. Doch über den Umfang der Sparmaßnahmen in den einzelnen Ressorts stritten sich die koalitionswilligen Unterhändler beider Parteien am Sonntag bis weit nach Mitternacht.
Über 600 Stellen sollen in den nächsten fünf Jahren alleine bei den Hoch- und Fachhochschulen des Landes abgebaut werden – und das trotz chronisch überfüllter Vorlesungen und Seminare. Stellen gestrichen werden bei der Polizei, in der Justizverwaltung und bei den „Wasserköpfen“ (Bündnisgrüne) in Ministerien und Landesanstalten. Und als die Bündnisgrünen am Wochenende auch noch bei den LehrerInnen und Verwaltungsangestellten von Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD) ansetzen wollten, stand der zweite Ministerrücktritt innerhalb von 24 Stunden unmittelbar bevor.
Doch die Bündnisgrünen zeigten Erbarmen mit dem Koalitionspartner. Statt der geforderten 800 Stellen muß Holzapfel jetzt nur noch 400 Stellen streichen – vornehmlich im Schulverwaltungsbereich. Daß sich die Bündnisgrünen gleichzeitig gegen eine von der SPD gewünschte Verlängerung der Arbeitszeiten von LehrerInnen sperrten, hat einige Sozialdemokraten während der Koalitionsverhandlungen zusätzlich auf die Palme getrieben: „Die spinnen, die Grünen.“
„Wer den Stellenabbau relativiert, gefährdet sozialökologische Reformprogramme“, erklärte dagegen der parlamentarische Geschäftsführer der Bündnisgrünen, Reinhold Weist, kategorisch. Und sein Kollege Horst Burghardt, der finanzpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, ergänzte: „Sollten einzelne Ressorts von der Personalverringerung ausgenommen werden, entstünde nun mal kein Druck für eine umfassende Verwaltungsreform.“
Gefeilscht wurde denn auch wie auf einem orientalischen Basar, wie Beobachter aus bündnisgrünen Kreisverbänden berichteten. Doch was von Fraktionschef Fritz Hertle und anderen im Vorfeld der Verhandlungen als „Staatsreform“ deklariert worden war, mutierte schnell zur schlichten Erbsenzählerei. Die von den Bündnisgrünen großspurig angekündigte Reduzierung des Beamten(un)wesens auf die Kernbereiche der Landesverwaltung – das sind Polizei und Justiz – erschöpfte sich in der (angekündigten) Ausarbeitung von Bundesratsinitiativen. Und auch die Reform des Beförderungs(un)wesens nach dem Leistungsprinzip bleibt zunächst nur eine Absichtserklärung.
Ob nach der fest verabredeten Streichung der knapp 3.000 Stellen tatsächlich, wie von Burghardt prognostiziert, noch finanzieller Spielraum für die Fortschreibung der 1991 begonnenen rot-grünen Reformpolitik bleibt, ist allerdings mehr als fraglich. Aufgrund der von (Noch-)Finanzminister Ernst Welteke erlassenen zwanzigprozentigen Haushaltssperre werden sich die Koalitionäre schon im laufenden Haushaltsjahr arg bescheiden müssen. „Unerwartet drastische Körperschaftssteuerausfälle“ und die unumgängliche Begleichung einer alten Schuld in Höhe von knapp einer Milliarde Mark aus den Zeiten der CDU/FDP- Landesregierung an das Land Nordrhein-Westfalen, hätten, so Welteke, die Verabschiedung dieser Haushaltssperre durch das Kabinett zwingend erforderlich gemacht. Und Welteke, der aus dem Kabinett ausscheidet und Präsident der Landeszentralbank werden wird, verabschiedete sich mit der deutlichen Warnung vor einer zukünftig noch ungünstigeren Entwicklung bei den Einnahmen und Ausgaben des Landes.
Die CDU forderte den Wiesbadener Regierungschef Eichel da schon zum Offenbarungseid auf. Und weil die rot-grüne Landesregierung offenbar schon im Haushaltsjahr 1994 rund 500 Millionen Mark mehr als im Etat festgeschrieben an Schulden aufgenommen hat und so die Summe der Kredite – entgegen den Bestimmungen der Landesverfassung – die der Investitionen überschritt, hätten SPD und Bündnisgrüne die Landesfinanzen schon vor Jahresfrist „an die Wand gefahren“.
Mit dem Rücken an dieser Wand haben die Bündnisgrünen jetzt nach eigener Einschätzung dafür gesorgt, daß es trotz Finanzkrise weitergehen kann mit der rot- grünen Reformpolitik – wenn auch auf Sparflamme. Der drastische Stellenabbau, der „sozialverträglich“ erfolgen soll, ermögliche etwa den weiteren Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs oder die Fortschreibung der Energiesparprogramme aus der auslaufenden Legislaturperiode.
„Wir sparen doch nicht um des Sparens willen“, sagte die Sprecherin der hessischen Bündnisgrünen, Elke Cezanne, gestern auf Nachfrage. Und auch nach dem erfolgreichen Abschluß der Koalitionsverhandlungen mit der SPD bliebe es wichtigste Aufgabe der neuen MinisterInnen, ihre Ressorts nach weiteren Einsparmöglichkeiten zu durchforsten. Denn die kommenden Jahre würden „harte Jahre“ werden.
Doch gibt es bei SPD und Bündnisgrünen in Hessen noch Hoffnung. Schließlich müsse nicht alle Jahre eine Milliarde Mark an Nordrhein-Westfalen überwiesen werden. Und wenn die Wirtschaft wieder in die Gänge komme, würden auch die Steuergelder wieder fließen – für die schönen, auf Eis gelegten rot-grünen Reformprojekte. Vielleicht, so sinnierten schon die Unterhändler am Wochenende, entwickele sich auch einiges in den neuen Bundesländern, so daß sich der (zur Zeit einzige) Beitrag von Hessen für den Länderfinanzausgleich in den nächsten Jahren verringere: „Hope in a hopeless world.“ Klaus-Peter Klingelschmitt,
Wiesbaden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen