„So war es nicht – es war schlimmer“

■ Die Erinnerungen von Überlebenden aus Stutthof / Ein neues Buch über das Konzentrationslager bei Danzig

„Solch ein ,Übermensch und Herrscher– hat mit Hochmut und Verachtung die Ankommenden aufgeklärt: ,Von jetzt an seid Ihr nicht mehr Menschen – nur einfach Nummern. Ihr habt alle Rechte verloren – die habt Ihr hinter dem Tor zurückgelassen – außer dem einen: Ihr könnt durch diesen Schornstein fliegen.' Dabei deutete er eindrucksvoll auf den in der Ferne rauchenden Schlot des Krematoriums.“ Zbigniew Raczkiewicz mit der Häftlingsnummer 17.787 erinnert sich an die Ankunft eines Transports mit „Zugängen“ im Konzentrationslager Stutthof. SS-Offiziere des Lagers vor Danzig hielten gern Reden, wenn wieder Hunderte oder Tausende Opfer der Nazis im Vernichtungslager Stutthof eintrafen: Das demonstrierte Macht, schüchterte die Menschen von Anfang an ein. Erst danach wurden sie zu den weiteren Schikanen geprügelt: Ausziehen, Kleider abgeben, Bäder in ätzenden Desinfektionsmitteln, Kopfrasur, gynäkologische Untersuchungen.

Die Geschichte des Konzentrationslagers Stutthof ist in Deutschland bislang wenig bekannt. Abgesehen von Polenreisenden, die auf die Frische Nehrung fuhren und die heutige Gedenkstätte besucht haben, wissen Wenige in Westeuropa von dem Lager. Umso verdienstvoller, daß die Bremer Edition Temmen jetzt ein Buch über das „Konzentrationslager vor den Toren Danzigs“ verlegt hat. Hermann Kuhn hatte das „Museum Stutthof“ mehrmals besucht. Zusammen mit dem Verlag hat er ein Konzept für ein Buch in deutscher Sprache über die deutsche Vernichtung in Polen erarbeitet.

Den sehr informativen historischen Überblick hat Janina Grabowska, Historikerin und Direktorin des Museums Stutthof, geschrieben. Die akribische Aktenführung der deutschen Folterer und Mörder in Stutthof ermöglichten es Grabowska, detailliert die Geschichte des Lagers vom 2. September 1939 bis zur Befreiung am 9. Mai 1945 zu erarbeiten. Ein ehemaliger Gefangener in Stutthof, Leon Lendzion, hat das Buch ins Deutsche übersetzt. Weder Verlag, noch Verfasserin oder Übersetzer haben die aus polnischer Sicht geschriebene Geschichte „wegen deutscher Empfindlichkeit zu glätten versucht", schreibt Kuhn. Namen der SS-Leute werden genannt, mehrfach auf dieHaltung der deutschen Zivilbevölkerung um Danzig herum hingewiesen: Wäre einem Häftling die Flucht gelungen, hätte er von den Zivilisten keine Hilfe erwarten können. Eine lektorische Überarbeitung des Buches hätte allerdings an manchen Stellen nicht geschadet, z.B. wenn als „Nationalität der Häftlinge Jude und Zigeuner“ angegeben wird.

Der zweite Teil des Buches versammelt die Erinnerungen von 24 überlebenden Männern und Frauen. Es sind meist Auszüge aus Büchern der ehemaligen Häftlinge, die zum Weiterlesen anregen. Schoschana Rabinovici war erst elf Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter in das Lager kam. Nur durch Täuschungen und die unglaubliche Kraft und Weitsicht ihrer Mutter hat sie das Lager überlebt. Schoschana Rabinovici konnte die verdrängten Erinnerungen an die geraubte Kindheit erst 1991 aufschreiben. Ihre Mutter hatte nach dem Krieg verboten, über die erfahrenen Greuel zu sprechen oder zu schreiben. In Alpträumen kamen sie wieder. Schoschana Rabinovici zweifelte jahrzehntelang an den Erinnerungen: Waren sie richtig, übertrieb sie? Sie reiste 45 Jahre nach ihrer Befreiung durch die Rote Armee wieder nach Danzig und Wilna, wo sie ihre Kindheit verbrachte. „Ich habe alles aus meiner Kindheit wiedergefunden, da wußte ich, daß ich mich richtig erinnere“, sagte sie in der vergangenen Woche in Bremen. Auch wenn sie zu verdrängen versuchte, hat sie sich Filme über Vernichtungslager angeguckt. „Wenn ich es erlebt habe, kann ich es auch angucken“, sagt Rabinovici, denn: „So war es nicht, es war schlimmer“.

Ulrike Fokken Stutthof, Ein Konzentrationslager vor den Toren Danzigs, hg. von Hermann Kuhn, Edition Temmen, 199 Seiten, 29,90 Mark.