Liebknecht oder Lagerfeld

■ Foto-Collagen im U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz sollen mit Werbung überklebt werden / BVG: Je mehr Werbeeinnahmen, desto weniger Fahrpreiserhöhungen

„Wir sind alle keine Kunstkenner. Aber bis heute hat sich außer einem der Künstler niemand um die Collagen gekümmert und einen Anspruch darauf erhoben.“ Klaus Wazlak, Pressesprecher der BVG, scheint an dem künstlerischen Wert der sechzehn Collagen, die die U-Bahnhofswände am Rosa-Luxemburg-Platz zieren, seine Zweifel zu haben.

Klar, ein bißchen Agitprop ist schon dabei. Umrahmt von Bildern, die Berliner Gartenlokale, Männer-Schwimmvereine und eine Versammlung eines Arbeitergesangvereins zeigen, prangt in der Mitte einer Collage eine Tafel mit der Aufschrift: „Die Arbeitszeit beträgt 54 Stunden in der Woche ausschließlich der Pausen und der Vorbereitungszeit“.

Ankommen tut's trotzdem. „Die Fahrgäste interessiert das sehr“, weiß ein Zugabfertiger der BVG zu berichten. Und er persönlich? „Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kenne ich ja noch aus meiner Jugend, immer zum Grab hin und so. Da fühlt man sich schon verbunden.“

Trotzdem überlegt man sich bei der BVG, die Collagen durch Werbeplakate zu überkleben. „Je mehr Werbeeinnahmen wir haben, um so weniger Fahrpreiserhöhungen gibt es“, rechtfertigt Wazlak die BVG-Pläne. Das letzte Wort sei in der Angelegenheit aber noch nicht gesprochen. In den kommenden Wochen wird die BVG mit der Bezirksverwaltung von Mitte über das Schicksal der Collagen beraten. „Auch der Kultursenator hat sich ja vehement für den Erhalt der sozialistischen Kunst eingesetzt“, so Wazlak.

Die Fahrgäste auf dem U-Bahnhof sehen es scheinbar wie der Kultursenator. Vom Zugabfertiger bis zur Sekretärin sind sich fast alle einig: Werbung gibt's in der Zeitung und im Fernsehen sowieso schon zuviel. Statt dessen sollte man lieber an die Geschichte erinnern. „Es ist wichtig, daß die Jugend etwas aus der Geschichte lernt. Die Bilder zeigen, wozu Herrschaft und Unterdrückung führen“, meint ein Ostberliner Schneidermeister. Die wenigsten sind so uninteressiert wie der ältere Herr mit Baskenmütze, der gar nichts zu den Collagen sagen kann. Auch nachdem er ein Bild, das eine Käthe-Kollwitz-Zeichnung vor einem Gräberfeld zeigt, eingehend betrachtet hat, wiederholt er: „Nee, dazu fällt mir gar nichts ein. Ich bin Autofahrer.“

Ein Fleischermeister rät, ab und an ein buntes Plakat zwischen die meistens in Schwarzweiß gehaltenen, etwas trist wirkenden Bilder zu hängen: „Dann würde man mehr hingucken.“ Aber schließlich seien die ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts ja auch eine trostlose Zeit gewesen. „Das ist schon in Ordnung, das so darzustellen.“ Gesa Schulz