US-Pharmamarkt im Visier

Nach Störfallserie (1993) und „Strukturproblemen“ der letzten Jahre boomt beim Chemiegiganten Hoechst der Laden  ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Das Büßerhemd muß der neue Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Jürgen Dormann, nicht mehr tragen. Längst vergessen ist die Störfallserie der Weltfirma im Jahre 1993, Geschichte sind auch die für die Konzernbilanz der vergangenen Jahre desaströsen „Strukturprobleme“ der Nummer eins auf dem globalen Markt für pharmazeutische Erzeugnisse.

Der Laden boomt wieder, wie Dormann gestern auf der Bilanzpressekonferenz in der konzerneigenen Jahrhunderthalle stolz vermeldete. Und in der Zentrale in Frankfurt-Höchst klingelten die Kassen im Geschäftsjahr 1994 offenbar derartig, daß Dormann und Kollegen locker 7,1 Milliarden US- Dollar für den Kauf der US-Pharmafirma Marion Merrell Dow auf den Tisch blättern können. Neue Schulden für den Erwerb von Merrell, so Vorstandsmitglied Martin Frühauf, der bei Hoechst als „ausgeschlafener Finanzexperte“ gilt, brauche die AG dabei nicht zu machen. Und auch auf eine Kapitalerhöhung bei der AG müsse nicht zurückgegriffen werden.

Der Kauf von Merrell soll über die US-amerikanische Beteiligung Hoechst Corporation abgewickelt werden, die als Holding für die Finanzierung der „operativen Landesgesellschaften“ (Frühauf) von Hoechst fungiert. Die Hoechst AG wird deshalb demnächst 2,5 Milliarden US-Dollar an die Hoechst Corporation überweisen. Für diese Transaktion, so Frühauf, reichten die liquiden Mittel der AG und der für 1995 zu erwartende Cash-flow aus – allerdings nur beinahe.

Nur am Rande erwähnte Frühauf, daß die AG zusätzlich noch „Desinvestitionen“ (Verkäufe von Tochtergesellschaften) tätigen müsse, um die Kapitalzuführung für die Hoechst Corporation sicherstellen zu können. Und die restlichen 4,6 Milliarden US-Dollar? Die sollen mittelfristig durch Bankdarlehen am Finanzmarkt finanziert werden. Also doch Schulden machen für den Kauf von Merrell? Im Prinzip nicht, so Frühauf, denn schon heute stehe ein „Bouquet von optimalen Finanzierungen bereit“, um diese Schulden (sic!) wieder abzulösen. Und Hoechst habe natürlich auch die „Gunst der Stunde genutzt“ (Frühauf) und Dollar eingekauft – in der Kursspannbreite von 1,35 bis 1,49 Mark.

Das Geld für den Kauf von Merrell mußte also zusammengekratzt werden. Doch für Vorstandschef Dormann ist der Erwerb von Merrell der „entscheidende Schritt, um auch künftig auf unserem Hauptarbeitsgebiet Pharma eine führende Rolle spielen zu können“. Mit Merrell habe Hoechst den Fuß endgültig in der Tür zum US-amerikanischen Pharmamarkt, dem „Zukunftsmarkt“ für die gesamte Branche. So würden etwa die Ausgaben für Gesundheit in den USA schon heute 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen, in Deutschland dagegen nur neun Prozent.

Und einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil rechnet sich Dormann auch aus: Zulassungen für Medikamente der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA hätten weltweit den höchsten Stellenwert.

Zulassungen für Merrell/ Hoechst durch die FDA würden so den Export von Arzneimitteln in andere Länder extrem erleichtern, denn das Gütesiegel der FDA erspare – etwa in der russischen Föderation – „Prüfprozeduren“ der nationalen Behörden. Dormann: „Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß der Erfolg innovativer Pharmaunternehmen künftig in erster Linie von einer starken Position in dem tonangebenden Markt USA abhängen wird.“

Den Ton im heimlichen Konkurrenzkampf unter den deutschen Chemiegiganten gibt Hoechst gleichfalls wieder an. Der Konzern konnte sein Betriebsergebnis im Vergleich zu 1993 um 57 Prozent auf 2,318 Milliarden Mark steigern. Der Jahresüberschuß wuchs gar um 80 Prozent auf 1,363 Milliarden. Und weil sich auch das laufende Geschäftsjahr „überaus positiv entwickelt“, schüttet die AG zehn Mark Dividende pro Aktie aus. Das sind drei Mark mehr als im mageren Jahr 1993.

Der Aufschwung von AG und Konzern – ein deutsches Wirtschaftswundermärchen? Mitnichten. Der Aufschwung ist Resultat umfangreicher „Strukturmaßnahmen“ in den Jahren 1991 bis 1994, die AG und Konzern zwar insgesamt 2,5 Milliarden Mark gekostet haben, sich heute aber „überaus positiv auswirken“ (Dormann). Strukturmaßnahmen? Das bedeutet in der Sprache der Vorstandsvorsitzenden aller Großkonzerne der Republik nur das eine: Personalabbau. In den letzten vier Jahren hat sich Hoechst von 25.000 MitarbeiterInnen getrennt – bei der Hoechst AG allein von 12.000 Beschäftigten.