Gewalt im Wehrschloß

■ Jugendliche schlugen Gleichaltrige brutal zusammen – erste Gesprächsversuche

Die Verletzungen der 14jährigen, die am vergangenen Dienstag am Freizeitzentrum Wehrschloß von der eigenen Clique regelrecht gefoltert wurde, sind nicht so schwer, wie die Polizei in ihrem Bericht am 27.3. darstellte (s.taz v. 28.3.). Das Mädchen wird voraussichtlich heute das Krankenhaus verlassen können.

„Die Arm- und Beinbrüche haben sich nicht bestätigt“, erklärte Polizeipressesprecher Lapsien auf Nachfrage. Auch die durch einen auf das Mädchen gehetzten Hund verursachten Bißwunden, von denen die Polizei anfänglich sprach, sind „nicht so gravierend. Offene Bißwunden gibt es nicht.“ Ob Jochbein- und Kiefernbrüche vorliegen, weiß Lapsien nicht, nur, daß das Nasenbein der 14jährigen zertrümmert wurde. Dies hat der Polizeisprecher vom Vater des Opfers erfahren. Die Information auch gegenüber der Presse zu korrigieren, hielt die Polizei ebensowenig für notwendig, wie die anfängliche Verdachtsdiagnose als solche auszuweisen. „Da ist sicher was versäumt worden“, räumt Lapsien ein.

Dabei ist die Geschichte auch ohne Übertreibung schlimm genug: Nach bisherigen Ermittlungen haben alle 15 Jugendlichen, die sich am Dienstagnachmittag im Erdgeschoß des Wehrschlosses aufhielten, mitbekommen, daß einige von ihnen die 14jährige mit zunehmender Härte attackierten. Manche schauten weg, andere halfen, die Sozialarbeiterin und Praktikantin von dem Geschehen abzulenken, das nach Schließung des Zentrums um 19 Uhr draußen vollends eskalierte. Wieviele letztlich auf die 14jährige einprügelten und ob sie zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde, ist, so die Polizei, bislang unklar. Die 16jährige mutmaßliche Haupttäterin, von der die wesentliche aggressive Energie ausgegangen sein soll, sitzt im Jugendgefängnis Blockland in Untersuchungshaft.

Anders als in der Sendung „Buten & Binnen“ behauptet, bleibt das Wehrschloß nicht für einige Tage geschlossen. Da zwei von drei MitarbeiterInnen krankheits- und urlaubsbedingt abwesend sind, wurden die Öffnungszeiten gekürzt. „Wir wollen doch, daß die Jugendlichen jetzt einen Ansprechpartner haben“, erklärt Erich Ernst-Pawlik, Mitarbeiter des Sozialdienstes. Erste Gespräche mit den 14- bis 17jährigen hätten gezeigt, wie unterschiedlich diese mit dem Vorfall umgehen. Ernst-Pawlik registrierte Reaktionen „von Verleugnen bis zu tiefer Betroffenheit. Einigen sieht man richtig an, in welchem Konflikt sie stecken.“

Wie es zu dem Vorfall kam, kann er nicht erklären. Es war jedenfalls dieselbe Gruppe, die im vergangenen Jahr mit einer Hausbesetzung die Weiterbeschäftigung eines Sozialarbeiters und damit die Öffnung des Hauses auch am Sonntag erwirken konnte. Aufgrund einiger Konflikte aber wurden die Wochenenden von den SozialarbeiterInnen wieder gestrichen. Für die 14jährige, die erstmalig vor vier Wochen ins Jugendzentrum kam, war es wie für alle Neuen schwierig, in die recht fest gefügte Gruppe integriert zu werden. Es sei nicht ungewöhnlich, daß es in so einer Hackordnung zu Auseinandersetzungen kommt, meint Ernst-Pawlik, „aber das war bisher nie bedrohlich.“

Zu Ostern wollten sich die Jugendlichen zu einem gemeinsamen Wochenende treffen, um das Thema „Gewalt“ anhand der aktuellen Situation im Haus zu besprechen. Das Wochenende ist gestrichen, „wir müssen jetzt darüber sprechen“, sagt Ernst-Pawlik. Es seien Gespräche zu führen mit dem Opfer, dessen Eltern, aber auch mit den TäterInnen, selbst wenn das von der Opferseite her schwer nachvollziehbar sei: „Wir müssen uns fragen, was können wir diesen Jugendlichen für eine Unterstützung bieten, damit sie nicht endgültig abgestempelt werden?“

Dora Hartmann