: Demokratie geht anders
Nebulöse Berufungsverfahren und Selbstbediener – manch ostdeutsche Dozentin wundert sich über die mittelalterlichen Strukturen an den Unis ■ Von Brita Baume
Allerorten wird Bilanz gezogen im fünften Jahr der Einheit, so auch in der Wissenschaftslandschaft. Zu Recht wurde die personelle Erneuerung der Hochschulen in den neuen Bundesländern als „ein Vorgang ohne Beispiel ... ein Jahrhundertding“ (Die Zeit) bezeichnet. Als Kernstück der Erneuerung wird die personelle Umstrukturierung betrachtet, und die ist beachtlich. Der Personalabbau in der Wissenschaft der neuen Bundesländer betrug 46,8 Prozent und betraf vor allem den Mittelbau. Für die Humboldt-Universität zum Beispiel hieß das konkret, daß von ehemals 6.730 Beschäftigten in den letzten Jahren 3.500 gekündigt wurden. In den Entscheidungsgremien, wie den Struktur- und Berufungskommissionen unter Vorsitz von West-Wissenschaftlern waren Frauen so gut wie nicht vertreten – wenn überhaupt, dann in der Gruppe der Assistentinnen und Studierenden. Unter den Gründungsrektoren, -dekanen und -professoren fanden sich ganze 6 Prozent Frauen, in den Landeshochschulstrukturkommissionen lediglich 3 Prozent. Ein Merkmal dieser Erneuerungsprozesse ist also die große Distanz der Frauen zum Herrschafts- und Machtgefüge in der Wissenschaft.
Demokratie hatten sie sich ganz anders vorgestellt
Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung war eine positive Evaluierung. Das ist ein sehr umstrittenes Kapitel. Bei den befragten Frauen dominierte der Eindruck, daß nicht die wissenschaftliche Leistung gezählt hat, sondern politisch motivierte Entscheidungen getroffen wurden. „Fremde haben evaluiert aufgrund von Akten, auch unter Zeitdruck und in einer Masse, die für den Evaluierenden nicht mehr faßbar war ... Auf diese Art und Weise können nur Ungerechtigkeiten entstehen.“ Eine Wissenschaftlerin wurde gar fünfmal evaluiert wurde und zwar nur politisch –, „also nicht ein einziges Mal aufgrund meiner fachlichen Leistung“. Nach der Evaluierung hatten Kommissionen über die Besetzung und die Verteilung der vorgesehenen Stellen zu entscheiden. Waren bei den Kündigungen noch Männer und Frauen zu gleichen Teilen betroffen, wurden bei den Neubesetzungen die Frauen spürbar benachteiligt. Die Interviewten kritisierten unter anderem die mangelnde Transparenz der Entscheidungen und die allgemeine Selbstbedienungsmentalität. „Ich meine, der simple Effekt ist doch: Die, die in dieser Kommission gewesen sind, an welchem Fachbereich auch immer, die haben ihre Stellen gesichert. Zusammenfassend könnte ich nur sagen, daß es sehr undemokratisch zugegangen ist.“ Angesichts derartiger Strukturen kommen mancher Wissenschaftlerin Zweifel, ob die Universität überhaupt eine berufliche Perspektive für sie ist. „Ich weiß nicht, ob ich eine Professur anstreben sollte, weil ich natürlich inzwischen auch gemerkt habe, daß der Wissenschaftsbetrieb hochgradig frauenfeindlich ist. Diese Einschätzung hängt damit zusammen, daß ich auch in der Berufungskommission sitze. Dort wird sich sehr frauenfreundlich gegeben, aber – ich weiß nicht, vielleicht bin ich jetzt auch schon feministisch angehaucht, jedenfalls verstehe ich langsam, warum die Westfrauen alle so sind – nur unter zwingenden Umständen wird mal eine Frau genommen – möglichst aber nicht.“
Vielleicht lag so ein zwingender Umstand vor, als gerade mal eine einzige von 14 neuen C1-Stellen in der Medizin der Humboldt-Universität an eine Frau gegeben wurde. Gerade die Stellenkategorie der C1-Stellen ist für die Frauen von Bedeutung, denn auf diesen Stellen soll mit der Habilitation die Voraussetzung für eine spätere Professur erworben werden. Lediglich ein Fünftel aller neuen C1- Stellen (20 von 99) ist an der Humboldt-Universität (HUB) an Frauen vergeben worden. Wie die Frauenbeauftragte der HUB schreibt, hat sich hier „offenbar die unkontrollierte Auswahlentscheidung der Neuberufenen im Zuge der Berufungszusagen zu Lasten der Frauen ausgewirkt“.
Was Frauen wichtig ist, ist nicht karrierefördernd
Welche Kriterien sind es, die den Weg in die Wissenschaft ebnen, und welche Qualifikationen zählen? Frauen haben die Erfahrungen gemacht, daß die Strukturen an den Hochschulen, geprägt von Hierarchie und Arbeitsteilung, ihren sozialisationsbedingten ganzheitlicheren Lebens- und Arbeitsformen nicht entsprechen. Nicht zuletzt auch die Tatsache, daß sie meist für die Familienarbeit zuständig sind, läßt sie mit kritischem Abstand auf die universitären Kommunikationsformen und Arbeitsbedingungen blicken. Bei der Frage nach dem beruflichen Werdegang geben die Frauen wie selbstverständlich die Geburt der Kinder an. Männer tun dies höchst selten. Karrieren von Frauen in der Wissenschaft werden selten geplant und stringent verfolgt – hier decken sich die Erfahrungen von Ost- und West-Frauen. Ihre beruflichen Biographien weisen oft Brüche auf – durch Arbeit in der Praxis oder Kinderbetreuung.
Ein wesentliches Problem im Selbstverständnis vieler ostdeutscher Wissenschaftlerinnen besteht im Verhältnis von Wissenschaft und Leben oder auch Theorie und Praxis. Sie formulieren nicht selten krisenhafte Erfahrungen mit der Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der Wissenschaft und der tatsächlichen Bedeutung im gesellschaftlichen Diskurs. Eine Geiseswissenschaftlerin hat den Eindruck, „daß Wissenschaft sich selbst sehr hoch bewertet in der westlichen Gesellschaft, mit der Beamtenlaufbahn und der mittelalterlichen Berufungshierarchie, mit diesem unglaublichen Glauben an Expertenwissen. In der Realität sind sie aber völlig raus aus jeder Diskussion. Sie spielen in der Öffentlichkeit keine Rolle und das mißhagt mir außerordentlich ... Also, ich kann nicht für den Papierkorb schreiben, ich kann nicht für fünf Leute einen Expertentext verfassen, den die sowieso nicht lesen, sondern irgendwo abheften, um der Formalität zu genügen ... Und ich kann diesem unverbindlichen Expertenwissen, was niemanden anspricht, niemandem auf die Füße tritt und mit niemandem kommuniziert außer mit sich selbst, nichts abgewinnen.“
Die befragten Frauen beschrieben deshalb ihr Bemühen, Arbeitsergebnisse einer größeren Öffentlichkeit zu unterbreiten. Das bedeutet aber auch, bei späteren Bewerbungen den Vorwurf des Essayismus oder der Unwissenschaftlichkeit zu riskieren. Auch in der Lehre bemühen sich die Frauen, Bezüge zur beruflichen Praxis herzustellen. Viele der interviewten Dozentinnen gaben als eine Hauptmotivation ihrer Tätigkeit an der Hochschule die Verbindung von Lehre und Forschung an. Die Umstrukturierung der Ost- Hochschulen hat aber offensichtlich zur Folge, daß die Ausbildung der Studierenden sich verselbständigt und kaum noch Bezug zur Berufspraxis hat: „Der neue Plan sieht wenig Praxis vor, eigentlich keine, das ist angeblich unter einem Universitätsanspruch. Für die Absolventen bedeutet es aber, daß sie später unbedingt eine sehr teure Weiterbildung absolvieren müssen.“ Eine andere Professorin: „Wir produzieren doch hier nicht bloß Arbeitslose fürs Arbeitsamt. Ein Studium muß doch auch ein bißchen was fürs Leben sein.“
Bei der Neubesetzung von Stellen aber konstatieren die Interviewten die sinkende Bedeutung und eine Abwertung der Lehrtätigkeit: „Also, ich sehe es bei diesen Verhandlungen, daß Lehre eben überhaupt keine Rolle spielt. Ja gut, es wird geguckt, der hat Lehre gemacht, klar, aber dann werden die Artikel gezählt, schlicht und einfach ...“ Das Engagement in der Lehre gereicht den Frauen also nicht zum Vorteil. So ist als Tendenz zu befürchten, daß die Qualität der Lehre absinkt. „Dann wird auch jeder Assistent danach trachten, soviel wie möglich, und wenn es Mist ist, irgendwo zu veröffentlichen und wird die Studenten vernachlässigen.“
Allein diese Aussagen machen deutlich, welche Sozialisationsvorgaben und Interessen es oft verhindern, daß Frauen in die Netzwerke und Seilschaften der Männerdomäne Hochschule problemlos integriert werden oder überhaupt Einlaß begehren, ganz abgesehen von den Widerständen der rivalisierenden männlichen Konkurrenten. Allerdings stehen sie mit ihren radikalen und umfassenden Reformvorstellungen nicht allein da. Nicht nur die Wissenschaftlerinnen in Ostdeutschland sind sich über die Reformbedürftigkeit des festgefahrenen Wissenschaftsbetriebs im klaren. Schon vor 1989 wurde dieser im Westen immer wieder von verschiedenen Seiten heftig attakiert. Vor dem Hintergrund der Kenntnis zweier Systeme und mit einem Blick, der noch immer viel kritische Distanz verrät, könnten die Frauen aus dem Osten zu einer solchen Reform beitragen. Viele von ihnen haben sich bereits ausführlich darüber Gedanken gemacht, was alles verändert werden könnte und sollte. So wird zum Beispiel die Erfahrung mit eher kooperativen und teamorientierten Arbeitsweisen aufgegriffen: „Ich könnte mir eigentlich eine Universität eher themenorientiert, problemorientiert vorstellen, daß man an einer gemeinsamen Aufgabe orientiert ist. Dann würde die Kompetenz stärker ins Gewicht fallen und das Partnerschaftliche besser zum Tragen kommen.“ Auch das „Männermodell“ Lebenszeitprofessuren,„wo deren Karrieren in Ewigkeit abgesichert werden“, sollte nach Ansicht mehrerer Wissenschaftlerinnen dynamischer werden. Sie schlagen entweder 5 bis 6 Jahresstellen vor, oder fordern ganz radikal: „Ich denke mir, daß diese katastrophale Lehrsituation mit soviel Studierenden ganz leicht gelöst werden kann, indem die Professoren ein Gehalt durch drei teilen oder durch vier. Ich denke, daß die für die Gesellschaft notwendige Arbeit immer weniger wird, so daß es immer unsinniger wird, von jemandem zu verlangen, daß er sein ganzes Leben wie kaputt arbeitet.“
Der Frauenanteil wird noch weiter sinken
Aber eine Verbesserung der Situation der Frauen an den Universitäten scheint sehr unwahrscheinlich – fast undenkbar für Ost-Wissenschaftlerinnen, die im Zuge der Umstrukturierung befristete Verträge erhielten. Ihre Arbeitsverhältnisse laufen größtenteils Ende 1996 aus. Vermutlich wird die derzeitige Situation auf einen drastischen Rückgang des Frauenanteils im Mittelbau hinauslaufen. Zwar werden mindestens die Hälfte der höher dotierten Professorenstellen zwischen 1995 und 2005 wegen altersbedingter Emeritierungen neu besetzt werden müssen – ob auf diese Stellen jedoch viele Frauen nachrücken können werden ist mehr als fraglich. Denn dann wird es womöglich gerade in den neuen Bundesländern an Bewerberinnen fehlen, die die erforderlichen Qualifikationsnachweise erbringen können. 1993 war die Zahl der Habilitationen an ostdeutschen Universitäten gegenüber 1989 um 82 Prozent zurückgegangen – insgesamt habilitierten sich nur 13 Frauen. Diese verschwindend geringe Zahl ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß gerade Frauen derzeit kaum Chancen haben, entsprechende Qualifizierungsstellen zu bekommen (siehe oben!). Hier ist sofortiges Handeln der verantwortlichen PolitikerInnen gefragt, wenn Frauenförderung nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben soll. Sinnvoll wäre zum Beispiel die Realisierung eines Sonderprogramms zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen, wie es an der Freien und Technischen Universität in Westberlin bereits eingerichtet worden ist.
Die Ergebnisse der gesamten Studie von Baume / Felber werden Ende 1995 im trafo-verlag in Berlin erscheinen.
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