Unter der Käseglocke der Künste

■ Die Wüste lebt (4): Das Bremer „Modell“ der Künstlerförderung treibt die heimische Kunstszene dem sicheren Wärmetod entgegen/ „Soziale Künstlerförderung“: perfekt; freie Künstlerförderung: null

Die Warnung vor dem „Wärmetod“ gehört zum festen Repertoire von Jean-Christophe Ammann. Wo immer der Basler Museumsmann – heute Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst – auftritt, malt er seinen Zuhörern das Schreckensbild einer Kunstszene aus, die durch allzu gutgemeinte öffentliche Fürsorge langsam, aber sicher austrocknet. Gelegentlich ist der Großmeister der Rhetorik auch zu Gast in Bremen. Bliebe er mal etwas länger – Ammann bekäme das herrlichste Anschauungsbeispiel für seine Theorie zu sehen.

Denn die Bremer Bruthitze ist beträchtlich. Mit Hilfe der staatlichen Künstlerförderung wurde hier in den vergangenen 20 Jahren eine Käseglocke für die Kunst errichtet, deren Ausmaße ihresgleichen suchen. Knapp eine Million Mark wird pro Jahr ausgegeben für die Programme „Kunst im Öffentlichen Raum“ und „Soziale Künstlerförderung“. Hinzu kommen die Subventionen für Bremer Kunstorganisationen und -häuser, an deren erster Stelle die „Städtische Galerie“ mit 91.000 Mark rangiert. So werden die heimischen Künstler nahezu perfekt umsorgt: Wer nicht aus eigener Kraft von seiner Kunst leben kann, hat Anspruch auf die „Soziale Künstlerförderung“ vom Sozialamt; ein Jahr lang darf er dann mit maximal 17.450 Mark Kunststütze an einem Projekt arbeiten, dessen Ergebnis sodann – als Gegenleistung – z.B. dem Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ zugeschlagen wird oder in die unergründliche Sammlung der Städtischen Galerie eingeht.

So fügt sich alles bestens. Der Senat bezahlt die Kunstproduktion, deren Produkt er anschließend an sich nimmt, um sie z.B. im Magazin der gleichfalls kommunal betrieben Galerie einzulagern. Im besten Fall leiht eine Behörde – das Sozialamt selbst? – die Förderkunst zum Schmuck der eigenen Amtsflure aus. Die Kunst dreht sich im Kreise, bzw. schmort im eigenen Saft halt vor sich hin. Die Künstler jammern gelegentlich; die Beträge sind nicht hoch. Aber sie halten es im Schnitt doch erstaunlich lange aus unter der Bremer Käseglocke. Vielleicht haben manche vergessen, wie es aussieht da draußen, und was es dort zu holen gäbe. Ein Austausch mit den Künstlern und Kunststätten anderer Städte nämlich ist im Bremer Förderprogramm nicht vorgesehen: Ganze 50.000 Mark hält der Kulturetat vorrätig für die Unterstützung freier Kunstprojekte, dazu kommen sporadisch ein paar „Lottomittel“.

Diese Schieflage ist auch unter der Obhut der Grünen über das Bremer Kulturressort unverändert. Den jährlich 490.000 Mark aus dem Sozialressort stehen Kleinstbeträge aus dem Kulturressort für eine wirkliche Künstlerförderung gegenüber. Ideen, was zu tun wäre, gäbe es genug – der Bund Bremer KünstlerInnen (BBK) hat sie schon längst formuliert. Um Frischluft unter die Käseglocke zu bringen, müssen Gastateliers für auswärtige Künstler eingerichtet werden. Umgekehrt muß sich die Stadt einklinken in internationale Austauschprogramme. Erst, wenn mehr Bremer Künstler die Chance bekommen, in Moskau, Köln, Madrid und New York eine Zeitlang zu arbeiten, findet die Bremer Szene endlich eine Anbindung an internationale Kunstdebatten.

Einen entsprechenden Entwurf gab es sogar im grünen Kulturressort: Er liegt in Staatsrat Gerhard Schwandners Schublade. Stipendien, Gastateliers – all das ist darin hübsch ausgemalt. Dieses in die Tat umzusetzen, fehlt dem Ressort das Geld. Etwa 20.000 Mark, schätzt das Kunstreferat, müßte die Stadt für einen dreimonatigen Gastaufenthalt eines Bremer Künstlers hinlegen. Die Gesamtkosten für eine wirkliche, über die Existenzsicherung hinausgehende Förderung veranschlagt das Referat mit einer halben Million Mark jährlich. Das ist dem Senat zuviel: Man verweist abermals auf die angespannte Haushaltslage und läßt die guten Ideen in der Schublade schmoren.

Übrig bleibt die „Soziale Künstlerförderung“. So hilfreich diese Idee am Anfang war – wenn das alles ist, dann kommen die Künstler wirklich niemals aus dem Bremer Dunstkreis heraus. Die derzeitige Konstruktion ist eine gute Anlaufs- und Übergangshilfe. Aber was kommt danach? Der Bremer Kunstpreis, wenn alles gut läuft – und dann? Der Sprung ins kalte Wasser des realen Kunstmarkts ist im Bremer System nicht vorgesehen. Also zurück auf „Los“: Nicht wenige Künstler haben bis zu dreimal in den Topf des Sozialamts gegriffen. Die Starthilfe wird so zum Dauerprovisorium, in dem es sich zwar schlecht, aber recht leben läßt.

Es ist kein Zufall, wenn der Bremer Kunstszene der Ruf der Ödnis anhängt. „Eine gute regionale Szene ist immer auch eine gute überregionale Szene“. Mit diesem Credo bekräftigte erst im letzten Jahr Hans-Joachim Manske, Leiter des Kunstreferats und seit 20 Jahren energischster Betreiber des Systems, den Bremer Betrieb. Wenn das seine Überzeugung ist, dann hat die Bremer Förderung in hrer jetzigen Form keine Berechtigung mehr. Denn nicht nur ist das überregionale Interesse an jungen Bremer Künstlern gering. Selbst die meisten hiesigen Galerien vermeiden es ausdrücklich, sich mit den Bremer Erzeugnissen auf den Markt zu begeben. Am bezeichnendsten vielleicht, daß sogar das „Künstlerhaus am Deich“ – eine Initiative Bremer Kunstschaffender aller Disziplinen – sein Gastatelier nur für auswärtigen Besuch reserviert. Über die mangelnde Nachfrage heißt es entschuldigend im Kunstreferat, in Bremen gebe es halt keine „Kunstmarktszene“. Wie auch: Der Staat hat mit solcher Perfektion einen künstlich simulierten Markt aufgebaut, daß es private Kunstvermittler gar nicht mehr braucht.

251 Künstler wurden seit 1981 mit „Sozialer Künstlerförderung“ bedacht. Etwa 1000 Plastiken prangen (oder prangten) inzwischen als „Kunst im Öffentlichen Raum“ im Stadtbild. 1200 Bilder und andere Werke lagern in den Katakomben der „Städtischen Galerie“ – so genau kann das Kunstreferat es nicht sagen. Die Brutmaschine läuft auf vollen Touren. Ihre Eigendynamik ist enorm: Wer wollte heute noch nach der Legitimation des Apparats fragen, auch wenn die Argumente aus dem steinernen Mittelalter sozialdemokratischer Kulturpolitik stammen? „Unverändert groß ist der gesellschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, daß sich viele Begabungen nicht entfalten können“, erklärt Manske. Das ist der wahre, alte Breitensportsgeist der Bremer Genossen. Wie groß ist der Schaden wirklich? Gab es einen Aufschrei unter den Künstlern, als die „Soziale Künstlerförderung“ im vergangenen Jahr mit verschärften Auflagen belegt wurde – und jetzt nur noch 70-80 statt 120 Künstler pro Jahr Kunststütze beziehen?

Nein; auch die Künstler wollen mehr als nur die bloße Existenz sichern. Sie wollen eine Förderung, die ihren Namen verdient und die Künstler weiterbringt als bis zum Rand der Käseglocke. Im Kulturressort heißt es, beides könne der Bremer Haushalt nicht leisten – entweder soziale Förderung oder eine Spitzenförderung, samt Stipendien und Gastateliers. Wenn das so ist: Dann her mit der halben Million aus dem Sozialressort. Dazu aber muß sich der nächste Kultursenator entscheiden, endlich mit der überholten Gießkannenpolitik aus SPD-Zeiten Schluß zu machen. Kunst ist kein Breitensport, sondern eine elitäre Auseinandersetzung. Entweder man entscheidet sich dafür – oder man läßt es. Die Künstler dem langsamen Wärmetod entgegendämmern zu lassen, ist die schlechteste aller Möglichkeiten.

Thomas Wolff