Newrozblume als Zeichen

■ Festgehaltene Bremer Delegation kehrte aus kurdischem Gebiet zurück

Am Dienstag kehrte die sechsköpfige Bremer Delegation aus der Südosttürkei zurück, die zwei Tage lang in Cizre festgehalten worden war. Sie war am 17.3. dorthin gereist, um, wie 16 weitere internationale Delegationen, über die Menschenrechtslage in der kurdischen Region zu berichten. Übereinstimmendes Ergebnis: KurdInnen werden in der gesamten Türkei verfolgt. Es gibt keinerlei Fluchtalternativen im Land. Wir sprachen mit Ute Rotermund, Albrecht Müller und Marco Meyenschein aus Bremen.

Was habt ihr unterwegs gesehen?

Links, rechts, vorne und hinten Militär. Zerstörte und verlassene Dörfer. Kurz vor Cizre eine Stadt, die vollkommen zerschossen war. Wir haben neugebaute Flüchtlingslager gesehen, die wie Streichholzschachteln nebeneinander stehen und teilweise mit Stacheldraht eingezäunt waren.

Hat man euch unter Beobachtung genommen?

Ja, die ganze Zeit mit mindestens fünf Leuten. In Siirt hat uns eine Kompanie von fast 30 Leuten umschwirrt und gefilmt. Wir haben die Stadt verlassen mit einer Karawane von acht Wagen hinter uns.

Habt ihr Tote und Verletzte gesehen?

Nein, wohl Menschen mit Wunden, von denen wir aber nicht wissen, wie die entstanden sind.

Angesichts der Gefahren für die Menschen, die mit euch gesprochen haben, ist es überhaupt sinnvoll, dorthin zu fahren?

Wir denken schon. Die Menschen haben immer wieder betont, daß ihnen unsere Präsenz so wichtig ist, daß sie dafür den Tod riskieren würden. Wir haben auch nie Leute einfach interviewt, haben uns keine Namen geben lassen und keine Fotos von ihnen gemacht.

Wie seid ihr rangekommen?

Es gab bestimmte Zeichen, die das vereinfacht haben: Ein Mann wies beispielsweise seinen Sohn an, uns Newrozblumen zu schenken. Die Leute haben daraufhin den Kontakt gesucht.

Was haben sie erzählt?

Daß Leute verschwinden, Dörfer zerstört werden, wobei sie ganz konkrete Namen nannten und erzählt haben, wie das im einzelnen abläuft. Sie erzählten von Flüchtlingsströmen und von dem Druck, unter den sie von den türkischen Militärbehörden gesetzt werden, wenn diese ihnen Waffen und Geld aufdrängen wollen. Sie sagten, daß ständig Folter droht. Wir haben auch mit Menschen gesprochen, die gefoltert worden sind.

In Cizre existiert eine Menschenrechtsorganisation, die verboten ist. Habt ihr zu denen Kontakt gehabt?

Nein, wir haben von anderen gehört, daß in Cizre in der Richtung nichts mehr möglich ist. Man muß wohl allgemein sagen, daß die Leute, die etwas gemacht haben, entweder im Gefängnis sind, tot oder nach Europa geflüchtet.

Wurde über die Anschläge in Deutschland gesprochen?

Von seiten der Polizei. Die haben natürlich gesagt, das ist die PKK. Es hieß dann, wenn in Deutschland die PKK verfolgt wird, dann ist das hier erst recht richtig.

Es gibt keine Bekennerschreiben, sodaß manche vermuten, der türkische Geheimdienst hätte die Anschläge initiiert.

Das halte ich für sehr möglich. Es ist absolut unwahrscheinlich, daß gerade jetzt, wo schon mal über diese Gebiete berichtet wird, Anschläge von der PKK verübt werden.

Angenommen, es fänden sich Menschen, die dort einen Friedensmarsch machen, ähnlich wie in Grosny ...

Wenn sie extrem viel Druck von oben kriegen, wäre es vielleicht möglich durchzukommen: mit einer Militärparade, die ringsrum ist, mit festgelegten Orten und einer vorherbestimmten Route. Es ist zweifelhaft, welchen Sinn das macht. Die Leute dort sind der Meinung, daß hier was verändert werden muß. Ihnen hilft, wenn es hier Unterstützung gibt und Aufklärung. Es muß aufhören, daß jeglicher Widerstand mit dem PKK-Stempel versehen wird und so selbst der Menschenrechtsverein kriminalisiert wird.

Euer Filmmaterial wurde beschlagnahmt oder zerstört. Waren da deutsche Panzer drauf?

Wir sind nicht ganz sicher, aber ein Schweizer Kollege und Waffenkenner hat mit Sicherheit welche gefilmt. Aber ob deutsche Waffen nun in Ostwestkurdistan eingesetzt werden oder in der Westtürkei stationiert sind, das spielt keine Rolle. Fakt ist, daß die Türkei deutsche Waffen besitzt, und daß dort ein Völkermord stattfindet. Mit welchen Waffen, ist eigentlich belanglos.

Wie berichtet die türkische Presse über den Einmarsch?

Die spricht wörtlich vom Ausradieren der Terroristen und von Säuberung. Die Ministerpräsidentin Ciller spricht von Endlösung.

Fragen: Dora Hartmann