Mit Ipecacuanha auf Du und Du
: Von wegen harmlos

■ Hamburger Gutachten: „Erhebliche gesundheitliche Gefahren“

Aufhören, keine Brechmittel mehr an mutmaßliche Drogendealer, forderten gestern die Grünen Rainer Oellerich und Walter Ruffler. Bremen solle dem Hamburger Beispiel folgen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat im vergangenen Jahr aufgrund medizinischer Gutachten den Einsatz des Brechmittels Ipecacuanha bei mutmaßlichen Drogendealern abgelehnt. Und das, obwohl Hamburg als einer der Drogenhandelsplätze gilt.

Die Grünen haben sich das Gutachten jetzt schicken lassen. Zitat aus der Stellungsnahme des Krankenhauses Harburg: „Die Applikation eines brecherregenden Sirups gegen den Willen des Betroffenen ist abzulehnen. Die zwangsweise orale Applikation, z. B. per Sonde, birgt die Gefahr einer Speiseröhrenverletzung sowie die Gefahr der Verabreichung in die Luftröhre. Auch besteht die Gefahr einer Aspiration (Einatmen von Erbrochenem, d. Red.). Beide Störungen ziehen erhebliche gesundheitliche Gefahren nach sich.“ (Dr. Th. Klöss, 2.6.1994)

Zum Vergleich die Anordnung der Bremer Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 1992: „Harmlos ist das Verabreichen eines Brechmittels (Ipecacuanhafluidextrakt). Lehnt der Beschuldigte es ab, das Mittel freiwillig einzunehmen, wird ihm der sirupartige Saft mit Hilfe einer weichen Sonde (...) eingeflößt. Auch diese Form der Verabreichung ist aus ärztlicher Sicht unbedenklich, und zwar selbst dann, wenn sich der Beschuldigte wehrt und festgehalten werden muß.“

Diese „verharmlosende Anweisung“ sei keinesfalls haltbar, so gestern Rainer Oellerich, der für die Grünen in der Justizdeputation sitzt. Er stellt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Der Nachteil für den mit Brechmittel Behandelten muß nämlich im Verhältnis stehen zur Straftat, die er begangen haben soll. Die Straftat ist aber gering bei den auf offener Szene Geschnappten, schreibt Dr. Gerhardt, Hamburgs leitender Oberstaatsanwalt am 12.10 1994: Die erwischten Kleindealer würden maximal 1 Gramm Kokain oder Heroin schlucken. Jugendliche und Heranwachsende hätten eh mit keiner Strafe zu rechnen, erwachsene Klein-Dealer auch nur mit maximal 50 Tagessätzen. „In Anbetracht dieser geringen Straferwartung scheint die Verabreichung von Ipecacuanha und das damit verbundene Gesundheitsrisiko außer Verhältnis zum angestrebten Ermittlungszweck zu stehen.“

Während in Hamburg also Kleindealer nach Fertigung einer Strafanzeige entlassen werden, quälte die Bremer Polizei in den vergangenen zwei Jahren rund 400 Tatverdächtige (zum Teil sogar per Nasensonde). Die Hälfte davon hatte gar keine Briefchen verschluckt. Kleindealer derart vehement zu verfolgen sei der falsche kriminalpolitische Schwerpunkt, kritisiert Rainer Oellerich.

Mittlerweile ist zwischen Gesundheitssenator und Justizsenator ein laut Oellerich „schlependes behördeninternes Überprüfungsverfahren“ in Gang gekommen. Außerdem wird das Brechmittel jetzt nicht mehr von den Polizeiärzten verabreicht, sondern vom Rechtsmedizinischen Dienst. Der untersucht zum Beispiel vorher auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hat es verschiedentlich dann auch schon abgelehnt, Brechmittel zu geben. Die Anweisung von 1992 ist damit aber nicht aus der Welt geschafft. cis