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SanssouciVorschlag

■ Meret Becker und Ars Vitalis in der Bar jeder Vernunft

Das kleine Mädchen hockt ganz oben unterm Dach. Es hat die Knie vor die Brust gezogen, schaut verloren drein und piepst mit schwacher Stimme ins Mikrophon: „Je suis seule ce soir...“ Doch das Kind ist gar nicht allein, unten auf der Bühne stehen drei nette Onkels. Meret Becker und das rheinische Trio „Ars Vitalis“ haben sich bei ihren Auftritten in der Bar jeder Vernunft gegenseitig entdeckt. In ihrem ersten gemeinsamen Programm wechseln französische Chansons und Berliner Lieder, Tom Waits und Eric Satie, Volkslieder und Jazz.

In bewährter Weise zieht Meret Becker die Melancholie der Stücke ins Komische: mal quäkt sie die Worte heraus, mal zieht sie sie wie Kaugummi ineinander, mal verirrt sie sich in die höchsten Töne. Dabei hantiert sie mit Weinglas und Pistole, unverzichtbaren Requisiten trauriger Chansonetten. Beim Lied vom „klein wild Vögelein“ schwelgt sie in komischem Pathos, girrt und pfeift und läßt schließlich das Köpfchen erschöpft auf ihr Federkleid sinken. Die flatternden Ärmchen unterstreichen das Vogelhafte ihrer Erscheinung. „Ein Federvögli wird vermehlt“, haben die vier zu dem Programm gedichtet, und so taucht die Sängerin am Ende ihr Gesicht in Mehl: „Und Mehl können Sie nicht erwarten! Denn Mehl fiel ihnen nicht ein!“

Nicht nur ihr, auch „Ars Vitalis“ ist in früheren Programmen schon mehr eingefallen. Die Musiker spielen virtuos wie immer, zeigen aber nur Zipfelchen ihres großen komischen Talents. Aber auch diesmal haben sie exzentrische Instrumente mitgebracht – einen winzigen Plattenspieler mit Papiertrichter und eine Art Miniatur-Cembalo. Der gewohnten Rollenverteilung bleibt das Trio treu: Der elegante Saxophonist Peter Wilmanns verzieht keine Miene. Reinhard Josef Sacher mimt den Gitarrenschüler und schielt furchtsam nach den Kollegen, als hätten die ihm Prügel angedroht. Und Schlagzeuger Klaus D. Huber, dessen Schultern und Gesichtszüge im Rhythmus der Musik und doch ganz unberechenbar zucken, gibt das dämonische Genie.

Schließlich sitzt Meret Becker wieder knapp unterm Zeltdach und piepst mit einem Funkgerät um die Wette. Das einsame, unwiderstehliche Liedchen hat dem Programm seinen Titel gegeben: „Ich sitze auf dem Gipfel der Welt, und mein kleines schwarzes Funkgerät steht neben mir“. Die zwanzig Stücke davor sind bloß nett: Mehl fiel ihnen nicht ein. Erst der Schluß der Show ist ihr Gipfel. Miriam Hoffmeyer

Bis 17. April mittwochs bis sonntags um 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Vorbestellungen unter 8831582

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