Durchs Dröhnland
: Branchenübliche Mythenfledderei

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Die schlechte Nachricht zuerst: Toxoplasma gibt es noch. Jetzt die gute: Der deutsche Punknachwuchs weigert sich vehement auszusterben. Small But Angry kommen aus dem Rheinland und spielen einen hyperschnellen, trotzdem nur leidlich dem Core zugeneigten Punk, der Bad Religion auf der Kriechspur stehenläßt und trotzdem noch Melodien hat. Das genügt dann doch wohl.

Am 31.3. um 22 Uhr im Ex, Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg

Crossovern ist ja nun nicht grade der letzte Schrei, aber was jetzt kommt, hört sich im ersten Moment einem sehr kranken Hirn entsprungen an: Laberinto mischen Metal mit lateinamerikanischen Rhythmen, und das ist kein Aprilscherz. Gut, da kommt einem vielleicht auch Santana in den Sinn, aber die hier machen richtig bösen Metal, oftmals sogar eher Hardcore, die Gitarren sägen, und der Sänger kreischt gemein. Dabei verzichten die vier aus Venezuela, die inzwischen in Amsterdam ansässig sind, aber nicht auf ein ausgefeiltes Rhythmusgeflecht – so nennt man das – aus Bongos und anderem so mit Tierresten überspanntem Kram. Dabei funktioniert der verwegene Mix ganz vorzüglich, vor allem weil Laberinto nicht versuchen, beide Seiten zu befriedigen, sondern sich auf die metallische Seite stützen, der sie mit dem Salsa- Zeugs unvorhergesehene Wendungen geben.

Am 1.4. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg

Tse Tse Fly sind so ziemlich exakt das, was in der mächtigen Musikpresse des vereinigten Königreichs gemeinhin so als Pop bezeichnet wird: große, mächtige Gitarrenschlieren, die von kleinen, intimen Momenten recht abrupt abgelöst werden. Damit ist das Quartett immerhin schon abwechslungsreicher als – sagen wir mal – Wedding Present, ekstatischer als z.B. die Smiths und besser als – na ja – fast der ganze Rest. Wer also tatsächlich immer noch glaubt, daß die Zukunft des Gitarrenpops in England liegt, wird Tse Tse Fly lieben, vor allem den völlig gelangweilten Nöler, der als Sänger firmiert.

Am 1.4. um 23 Uhr im Eimer, Rosenthaler Str. 68, Mitte

Weil die 70er so vehement zurückkehren, darf man sich auch nicht wundern, wenn in der fränkischen Provinz der alte Ougenweide-Ansatz wieder ausgegraben wird. The Merlons of Nehemiah bestehen zwar in den Liner- Notes ihrer CD darauf, daß keine „traditionellen Melodien“ verwendet wurden, aber von der Gestaltung über die Instrumentierung bis zur Musik schreit es „Mittelalter!“. Die Bubenreuther sind oft elegisch, manchmal sehr poppig und hin und wieder sogar sehr hübsch.

Mit Das Ich am 1.4. um 20 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Str. 76–78, Potsdam

Nette Idee das: Eine „Sunday Hardcore Matinee“, fängt allerdings nicht zur klassischen Zeit, sondern erst am späten Nachmittag an. Junge, unbekannte Bands sollen für junge Hardcore-Fans spielen und alle Veranstaltungen spätestens um 22.30 Uhr beendet sein, damit die Kinder am nächsten Tag wieder frisch sind für die Schule. Zur Premiere dabei sind Blind Man Leading Blind Man aus Berlin, Approach To Concrete aus Köln und Murdered Art aus Berlin, die einen ziemlich stumpfen Hardcore abliefern, der mit der gängigen Langeweile von Sonntagnachmittagen durchaus konkurrieren kann.

Am 2.4. um 17 Uhr (!) im Trash, Oranienstr. 40–41, Kreuzberg

Jason Pierce war früher einmal bei den Spacemen 3, den dreistesten Velvet-Underground-Kopisten dieser an Velvet-Underground-Kopisten nicht armen Welt. Mit Spiritualized hat er wieder in Trioform so eine Art neue Besinnlichkeit entdeckt, auch wenn er auf die Rückkopplungsorgien nicht ganz verzichtet. Doch meist tröpfelt und labbert das so vor sich hin, schwillt auf und ab, machen die Geigen was her, ist alles sehr tief und voller Raumklang und irgendwie unheimlich wichtig, auch weil meist so gut wie nichts passiert. Aber davon abgesehen haben die Soundexzesse, denen meist die Songstruktur völlig abgeht, ihren unverleugbaren Reiz.

Am 2.4. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Es würde jetzt sehr weit führen zu erklären, warum Oi! nicht notwendigerweise Fascho-Musik ist und daß Skinhead-Sein erst mal nichts mit rechtsradikalem Dumpfbackentum zu tun hat. Cock Sparrer auf jeden Fall sind eine jener Street-Punk-Bands von Mitte der 70er, die später Oi! genannt wurden, nicht so richtig Punk wurden, aber somit genau den Übergang vom Pubrock von z.B. Dr. Feelgood zum englischen Punk der Pistols, Clash etc. markierten. Und immer noch markieren, denn inzwischen haben Cock Sparrer ihre zweite Reunion laufen und spielen exakt so gemütlich und melodiebewußt wie damals.

Am 2.4. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108–114, Neukölln

Motorpsycho haben einen Hang zum Größenwahn: Ihr Debüt war schon ein Doppelalbum, das aktuelle ist gar ein dreifaches, ihre Konzerte dauern mindestens zwei Stunden, und auch ihre Musik möchte alles. Dabei erreicht sie immerhin sehr viel: Sie können ebenso überzeugend dröhnen wie zurückgenommen dahindaddeln und loten dabei so souverän wie nur möglich die heutzutage noch denkbaren Eckpunkte von Rockmusik aus. Diese Band aus Norwegen ist vielleicht die, die den momentanen Stand von Rock am besten festklopft, seine Möglichkeiten ausarbeitet und seine Beschränkungen akzeptiert. Daß dabei sehr unterschiedliche Songs entstehen, liegt nicht nur an der Reise durch die Zeiten, bei der kein Jahrzehnt ausgelassen wird, sondern auch an der Größe der Aufgabe, die sie sich gestellt haben, denn die Namen, die sich zum Vergleich anbieten, sind gewaltig: Stones, Led Zeppelin, Stooges, sogar Beatles, Byrds oder Beach Boys. Kann man alles hören, wenn man will. Das tut dem Spaß, den diese Musik macht, keinen Abbruch, auch wenn die Freude an der Restaurierung von Rock vielleicht Magengrimmen verursachen sollte.

Am 2.4. um 21 Uhr im Knaack

Megadeth zogen früher immer den kürzeren gegenüber Metallica, weil sie zu verschnüselt waren. Dabei kommt zwar auch bei ihnen schon längst kein Speed- oder gar Thrash-Metal mehr raus, aber dafür entstand mit „Youthanasia“ eine wirklich sehr gute Platte, vielleicht die beste Metal- Platte seit dem schwarzen Metallica-Album. Nach dieser Konsolidierung können Megadeth Bon Jovi in die Jauchegrube schicken, in die er längst gehört, und sollten gleichzeitig nicht zuviel Glaubwürdigkeit verloren haben. Außerdem bringen sie sympathischerweise immer noch schön platt ihre Sozialkritik und politische Opposition an den Mann, anstatt sich in der branchenüblichen Mythenfledderei zu beteiligen: „Who'd believe we'd spend more shippin' drugs and guns than to educate our sons?“ Und ebenso nicht gerade genretypisch ist die Eigenschaft, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen: Im Booklet haben sich die vier beim Luftgitarrespielen abbilden lassen. Für Corrosion of Conformity gilt politisch Ähnliches, aber sie kommen mehr vom Hardcore, was zu weniger Gitarrengewichse und mehr wutschnaubendem Gesang führt.

Am 4.4. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt

Noch mal humorige Menschen: Antiseen sind inzwischen so sehr Punkurgestein, daß ihre Haare länger sind als bei durchschnittlichen Metalbands. Für ihre letzte Platte haben sie viele Lieblingsstücke in brachialen Coverversionen kleingerührt. Dabei mußten die Talking Heads und Rocky Erickson ebenso dran glauben wie Curtis Mayfield, Hank Williams oder Bob Dylan. Ist sehr schön geworden.

Am 5.4. um 21 Uhr im Huxley's Junior Thomas Winkler