Eigentlich ist natürlich wirklich

Die PDS hat zur wohnungspolitischen Offensive geblasen / Viele Versammlungen schleppen sich so dahin, aber das vorläufige Nein des Senats zum Mietengesetz verbuchen die Genossen als ersten Erfolg  ■ Von Christoph Seils

„Das ist nicht das Ende, sondern der Anfang!“ Panik machen wolle er nicht, sagt Manfred Dunkert, aber jeder hier solle daran denken: „Mieterhöhungen sind lebenslänglich.“

Manfred Dunkert ist Sprecher der „Interessengemeinschaft der Bürger Frankfurter Allee-Süd e.V.“. Die Interessengemeinschaft hat zu einem „Mieter-Forum“ geladen. Thema: „Was passiert mit den Mieten?“ Gast ist „unsere Martina Michels“. Zu erwähnen, daß sie von der PDS kommt, ist hier überflüssig. Mitglieder und Sympathisanten der demokratischen Sozialisten sind unter sich. Mehr als 50 Prozent der Bewohner wählten in diesem Lichtenberger Wohngebiet bei den letzten Wahlen die PDS, jeder Besucher wird per Handschlag begrüßt und der einzige Fremde – „Wie schön, ein neues Gesicht“ – herzlich in den Reihen aufgenommen.

Seit Wochen tingelt die wohnungspolitische Sprecherin der PDS, Martina Michels, fast Abend für Abend durch Ostberlin, um auf Mieterversammlungen zu erklären, warum die geplante Einführung des Vergleichsmietensystems verhindert werden muß. Die PDS hat zur „wohnungspolitischen Offensive“ geblasen, um sich als Mieterpartei zu profilieren. 300.000 Exemplare ihrer achtseitigen „Mietenzeitung“ hat sie unters Volk gebracht und damit fast jeden zweiten Haushalt Ostberlins erreicht, 15.000 Berliner haben sich der Postkartenaktion der PDS an den Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses angeschlossen. An der Ostberliner Mietenfront ist die PDS Wortführer. Mieterverein und Mietergemeinschaft sind fest in ihrer Hand. Ohne PDS hätte Ingrid Stahmer am Dienstag auf der Mieterdemo vor dem Außenstelle des Bundesbauministeriums am Dienstag wohl allein im Schneegestöber gestanden.

Doch die Versammlung am Mittwoch abend läuft eher schleppend. Daß die „Mieter explodieren“, wie die PDS auf ihren Plakaten überall in Ostberlin vollmundig verkündet, davon ist hier wenig zu spüren. Rund sechzig „Bürgerinnen und Bürger“ im PDS-typischen Alter sind gekommen und folgen interessiert den Ausführungen ihrer Abgeordneten, viele schreiben sorgfältig mit.

Die PDS sei eigentlich grundsätzlich gegen die Einführung von Vergleichsmieten, „weil die Wohnung damit zur Ware werde“, erklärt Martina Michels und fügt hinzu: „Wohnen ist ein Menschenrecht.“ Daß die PDS von ihrer Forderung nach einem zweijährigen Mietenmoratorium wieder abgerückt ist und jetzt auch maßvollen Mieterhöhungen zustimmen würde, darauf geht Martina Michels nicht so deutlich ein. „Soziale Mindestrahmenbedingungen“ nennt die PDS ihren Vorschlag, die Mieten um 10 Prozent innerhalb von drei Jahren zu erhöhen und 1,50 Mark pro Quadratmeter Modernisierungszuschlag zu erlauben. Mühsam erklärt Martina Michels das komplizierte Vergleichsmietensystem, doch lieber wendet sie sich den Umfallern bei den Sozialdemokraten zu.

Den Zuhörern fällt es nicht leicht, der Abgeordneten zu folgen. „Was will die PDS nun wirklich, und was will sie nur eigentlich?“ will eine Besucherin es genau wissen. Sei das Wohnen also nur eigentlich ein Menschenrecht? Die Antwort der Abgeordneten beseitigt jeden Zweifel: „Eigentlich ist natürlich wirklich.“

Der Bezirksleiter Lichtenberg des Berliner Mietervereins ist da pragmatischer. „Wir sind dem Kapitalismus beigetreten, also müssen wir uns jetzt gegen seine Gesetzmäßigkeiten wehren und für bezahlbare Mieten kämpfen“, sagt er. Man habe jetzt schon mindestens drei verschiedene Mieten, spricht Egbert Krappe, auch er Genosse, den Besuchern aus der Seele, Grundmiete, Betriebskosten und allerlei Zuschläge. „Alles wird teurer, und keiner blickt mehr durch“, sagt er und erntet dafür Beifall.

Die Basis ist unzufrieden. Eine Postkartenaktion, das sei doch kein Widerstand. „Warum macht ihr keine große Kundgebung?“ Gysi und Bisky müßten an die Spitze, „die sollen nicht dauernd Pamphlete schreiben“. Einige der Besucher waren am Vortag schon auf der Demo des deutschen Mieterbundes. „Die Stahmer war ganz schön sauer auf uns“, berichtet eine Rentnerin stolz von dem Pfeifkonzert im Schneegestöber. Mieterhöhungen müssen sein, sie wolle den Wählern keinen Sand in die Augen streuen, hatte Ingrid Stahmer erklärt und so den Zorn der demonstrierenden PDS-Genossen auf sich gezogen.

Daß sich die PDS in der Mietenpolitik auf Kosten der SPD profiliere, nimmt der wohnungspolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, Otto Edel, aber gelassen und ohne die selbst von Parteifreundin Stahmer üblichen Ausfälle gegen die SED-Nachfolger hin. „Die Opposition wird dafür bezahlt, daß sie mehr fordert“, so Edel, Polemik gehöre dazu. Mit einer vernünftigen Wohngeldregelung und einer zehnprozentigen Kappungsgrenze sei das Gesetz aber vertretbar, dann hätte sich die SPD gegenüber der CDU weitgehend durchgesetzt. „Dafür werden wir bezahlt.“

Ganz jedoch will die Berliner SPD der PDS das Mietenthema nicht überlassen. Auf die schnelle hat man eine eigene „Mieterzeitung“ drucken lassen. Während Berlins SPD-Bausenator Nagel Anfang des Monats noch kniff, als Bundesbauminister Klaus Töpfer im Prenzlauer Berg sich den empörten Ostberlinern gestellt hatte, versuchte Ingrid Stahmer sich bei der Demo am Dienstag mutig an die Spitze des Mieterprotestes zu drängen.

Entwarnung will Martina Michels auch nach dem vorläufigen Nein des Berliner Senats zum Mietenüberleitungsgesetz nicht geben. Dieses Nein im Bundesrat verbucht die PDS-Abgeordnete als Erfolg der Proteste ihrer Partei, auch wenn sie einräumt, daß die Luft jetzt erst mal raus sei. Dieses Jahr wird es eine Mieterhöhung vermutlich nicht mehr geben. Der Termin 1. Juli ist kaum noch zu halten und kurz vor den Wahlen werden sich weder CDU noch SPD ein Mieterhöhungsei ins Nest legen.