■ Industrieländer sollten sich Umweltinvestitionen im Ausland als Guthaben anrechnen lassen können
: Auf schnelles Handeln kommt es an

Das Thema „joint implementation“ (gemeinsame Umsetzung) der Klimarahmenkonvention spaltet nicht nur Industrieländer und Entwicklungsländer, Nord und Süd, sondern auch Umweltschutzverbände. Das wird – hoffentlich – nicht so bleiben, wenn die Argumente gewechselt und wenn sie überzeugend sind. Im Gegensatz zu Felix Christian Matthes, der am 14. 3. 95 in der taz diese Idee verwarf, sehe ich aus Gründen der „ökologischen Dringlichkeit“ und „ökonomischen Sinnhaftigkeit“ darin gute Chancen.

In einem Sondergutachten zur 1. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Berlin hat der „Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen“, dessen Mitglied ich bin, die ökologisch und ökonomisch tragbaren Belastungen durch Klimaänderungen untersucht. Ökologische Grenzen ergeben sich unter anderem aus der Maximaltemperatur und den Temperaturgradienten, an die sich das globale Ökosystem, die Biosphäre, noch anpassen kann. Ökonomische Grenzen sind unter anderem durch die für die Weltwirtschaft gerade noch tragbaren Klimafolgekosten bestimmt. Der Abstand bis zum tolerierbaren Maximum der durchschnittlichen Erdtemperatur ist nur noch 1,3 Grad Celsius! Wird dieser Temperaturbereich überschritten, sind einschneidende Veränderungen in Zusammensetzung und Funktion diverser Ökosysteme zu erwarten, die bis zum vollständigen Kollaps einzelner Systeme gehen können. Bei einer mittleren Temperaturzunahme von 0,2 Grad Celsius pro Dekade, wie in der jüngsten Vergangenheit registriert, bleibt also nur noch eine kurze Frist zur Stabilisierung des Klimasystems.

Unter Einbeziehung ökonomischer Grenzen reduziert sich diese Frist drastisch. So würde die Fortsetzung der gegenwärtigen Emissionspraxis (business as usual) nur noch etwa 25 Jahre ergeben und danach innerhalb kürzester Zeit einen solch drastischen Minderungszwang erfordern, daß nur schwer gesellschaftliche Strukturen und Technologien vorstellbar sind, die eine solche Minderung ermöglichen. Rasches Handeln ist also zwingend geboten.

Um es deutlich zu sagen: Reduzierungspflichten bei dem Ausstoß von CO2, bestehen natürlich aufgrund der historischen und laufenden Emissionen primär und vor allem für die Industrieländer, für uns. Artikel 3 der völkerrechtlich verbindlichen Klimarahmenkonvention besagt, daß die Aufteilung der Reduzierungspflichten zwischen den Staaten bzw. Staatengruppen „entsprechend der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Parteien (Staaten) und ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten“ vorgenommen werden soll. Gehen wir einmal davon aus, daß für alle Annex-I-Staaten (Industrieländer und die in der Konvention genannten Transformationsländer) ein einheitlicher Prozentsatz der Reduktion vereinbart wird – wenn nicht in Berlin, dann doch auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz. Die Vorteile solcher prozentual gleichen Länderquoten liegen in der Einfachheit ihrer Festlegung und Überwachung. Die Nachteile aber lägen unter anderem darin, daß die Kosten der Emissionsreduzierung global gesehen unnötig erhöht würden, weil die Aufwendungen für eine bestimmte Emissionsminderung von Staat zu Staat höchst unterschiedlich sind. Wie aber löst man, lieber Kollege Matthes, den Konflikt zwischen ökologischer Dringlichkeit und ökonomischer Sinnhaftigkeit?

Um einen ökologisch unbestreitbaren Handlungsbedarf ökonomisch effizient umzusetzen, sind, so denke ich, Verfahren zu bevorzugen, bei denen regional (eventuell auch sektoral) dort angesetzt wird, wo sich gegenwärtig oder künftig die größten Potentiale für eine Emissionsminderung befinden. Das heißt, daß neben die Klimaschutzpolitik mit nur nationalen Instrumenten die internationale Kooperation tritt, ja treten muß. Angesichts der ohnehin schwierigen, keineswegs konfliktfreien Anpassungsprozesse, die mit der Umsetzung von Reduzierungspflichten verbunden sind, könnte sich eine solche Flexibilisierung als Schlüssel zu einer effektiven und rasch einsetzenden internationalen Klimapolitik erweisen. Ein wichtiges Element bzw. Instrument einer Senkung der Anpassungs- und Vermeidungskosten für alle beteiligten Staaten ist daher die „gemeinsame Umsetzung“ (joint implementation) von Vermeidungsmaßnahmen, ein anderes die Einführung eines internationalen Zertifikatesystems (transferable permits). Beide Instrumente sind in der Klimarahmenkonvention im Sinne internationaler Kooperation angelegt, aber in bezug auf ihre Ausformung und Reichweite noch nicht bestimmt – und um diese muß es gehen, nicht um Zustimmung oder Ablehnung.

Neben dem allgemeinen Vorteil, Vermeidungskosten zu senken, bietet joint implementation grundsätzlich den Vorteil, den privatwirtschaftlichen Kapital- und Technologietransfer von den Industrie- in die Transformations- und Entwicklungsländer zu fördern, ein Effekt, der angesichts rückläufiger staatlicher Entwicklungshilfe nicht unterschätzt werden sollte. Falls es auf der 1. Vertragsstaatenkonferenz in Berlin noch nicht zu einer Einigung auf bindende, präzise Durchführungskriterien kommen sollte – was angesichts einer etwas emotionalisierten Debatte eher unwahrscheinlich ist –, könnte zumindest eine Pilotphase unter offenen Bedingungen vereinbart werden, beispielsweise, daß alle entsprechenden Projekte zur Auswertung dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention mitzuteilen sind. Das Sekretariat könnte dann das Mandat erhalten, international akzeptable Kritieren von joint implementation auszuhandeln.

Dabei sollte der folgende, meines Erachtens zentrale Gedanke aufgegriffen und entschieden werden: Bezüglich der Frage der Anrechnung (Kreditierung) der durch joint implementation erzielten Emissionsreduktionen auf die allgemeinen Reduktionspflichten der Annex-I-Staaten (nationale Länderquote) ginge bei einem gänzlichen Verzicht auf die Anrechnungsmöglichkeit eine wichtige Triebkraft für internationale Kooperation verloren, das Konzept verlöre seine Attraktivität für die Industrieländer. Hier scheint also eine Teilanrechnung als Lösung sinnvoll. Die Bedenken einiger Entwicklungsländer und mancher Umweltverbände (und vielleicht auch von Herrn Matthes) gegen joint implementation könnten zum Beispiel dadurch aufgefangen werden, daß sich die Annex-I-Staaten verpflichten, den überwiegenden Teil ihrer eigenen Reduktionsverpflichtungen – sagen wir: 70 bis 80 Prozent – innerhalb ihrer Staatengruppe zu realisieren. (Wem dies nicht genügt: Man könnte einen Malus für die Annex-I-Staaten vorsehen, die sich der internationalen Kooperation entziehen.)

Klimaschutz wird, so denke ich, international die notwendige Akzeptanz und Bedeutung nur erhalten, wenn gleichzeitig mit dem ökologisch Wichtigen auch das ökonomisch Richtige getan wird. Deshalb sollten ökonomische Lösungsansätze in der Klimaschutzstrategie stärker berücksichtigt werden. Dazu gehört auch – wenn nicht sofort, so doch in Zukunft – ein zwischenstaatliches Zertifikatesystem, das eine logische Fortentwicklung von joint implementation darstellt.

In einem solchen System können Vertragsstaaten die ihnen zugestandenen Emissionsrechte (in Zertifikaten verbrieft) anderen Staaten auf Zeit zur Verfügung stellen, das heißt verpachten und daraus Einnahmen erzielen. Als Anbieter von Zertifikaten könnte also ein Land auftreten, das die ihm (pro Kopf der Bevölkerung oder pro Flächeneinheit) zugestandene, international festgelegte Emissionsmenge (Länderquote) nicht ausnutzen kann, aber Einnahmen aus der Verpachtung dieser Rechte erzielen möchte. Umgekehrt entstünde für die Länder mit höheren Emissionen, die dafür zahlen müßten, ein ökonomischer Anreiz zur Emissionsminderung.

Grundsätzlich würde ein solches Zertifikatesystem also bedeuten, daß die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention die ihnen zugeteilten Emissionsmengen untereinander handeln könnten – ein Markt entstünde, wo bisher kein Markt besteht, und dieser Markt könnte, endlich einmal, zugunsten der armen Länder wirken.

Es ist also, so denke ich, an der Zeit, daß die Bedingungen für die joint implementation und für die Einführung eines internationalen Zertifikatesystems progressiv diskutiert und festgelegt werden – und zwar so, daß globaler Klimaschutz und reale Entwicklungshilfe sich gegenseitig ergänzen und nicht blockieren. Udo Ernst Simonis

Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen“