Der Idiot in uns allen

■ Heute abend hat Afred Schnittkes neue Oper „Leben mit einem Idioten“ am Theater Premiere / In der Titelpartie Stephan Drakulich

1992 in Amsterdam uraufgeführt dann in Wuppertal/Gelsenkirchen produziert, verspricht „Leben mit einem Idioten“ ein Publikumsrenner zu werden. Der aus der Wolgadeutschen Region stammende, heute in Hamburg lebende Komponist in hat sich früh von den Zwängen avangardistischer Techniken befreit. Heute schreibt er eine leicht eingängige, aus vielen Traditionen gespeiste Musik. Er nennt sie selber „polystilistisch“. Keineswegs ist sie jedoch trivial, denn zu kompliziert sind die geistigen und dramaturgischen Verschränkungen und gegenseitigen Beleuchtungen der stilistischen Elemente. „Leben mit einem Idioten“ - das Textbuch entstand nach der Erzählung von Victor Jerofejew 1982 - ist eine Allegorie auf das Scheitern des Kommunismus in der ehemaligen Sowjetunion. Der Regisseur David Mouchtar-Samorai wagt die „Übersetzung“ in die bundesrepublikanische Wirklichkeit von 1968. Der Tenor Stephan Drakulich war am Bremer Theater in den achtziger Jahren engagiert, er profiliert sich heute immer mehr als Sänger-Schauspieler. Anläßlich der Premiere ein Gespräch.

taz: Der weise und redselige Gottesnarr hat ja eine lange literarische Tradition, nicht nur in Russland – vielleicht ist der am Ende von Mussorgskis „Boris Godunow“ der berühmteste. Um welchen „Idioten“ handelt es sich in Schnittkes Werk?

Stephan Drakulich: Schnittke und Jerofejew haben den Narren gestaltet, der in uns allen steckt und auf den wir alle reagieren. Das versuchen wir auch in dieser Aufführung zu zeigen.

Das Stück ist ja doch eine Allegorie auf das kommunistische Leben in der Sowjetunion. Ist denn das übertragbar?

Ja. Wir sind alle anfällig sind für solche Phänomene.

Der Idiot bei Schnittke bringt ja die um, die sich ihn ausgesucht haben. Wollen die Verfasser damit sagen, daß die Menschen auch für die Systeme verantwortlich sind, in und unter denen sie leben, auch in der Diktatur?

Ja, sicher, aber das ist schwer zu beantworten. Aber wir fragen schon: warum finden die Vergewaltiger ihren Platz in uns?

In Schnittkes Oper gibt es sehr viele Zitate, ich nenne nur Matthäuspassion und die Internationale, und vieles aus der russischen Musikgeschichte. Was meint das?

Als Idiot kann ich dazu leider nichts sagen.

Sie sind Tenor, singen und spielen die Hauptrolle. Was sind die besonderen Schwierigkeiten dieser Partitur?

Die extreme Höhe, den ganzen Abend hohes C. Und extreme Tiefe. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber es gibt wirklich nicht viele, die diese Höhe schaffen. Aber sonst ist das Stück sehr klug, sehr gut für den Sänger komponiert. Ich kenne moderne Stücke, in denen es überhaupt nicht möglich ist, den Anfangston zu finden, das ist bei Schnittke nicht der Fall. Ja, und wenn dann so allerlei aus der Musikgeschichte kommt, kann man sich doch gut identifizieren: da gibt es einen Walzer, einen Tango, ein russisches Volkslied, Tonales und Atonales, Anthems.....

Könnte diese unnatürliche Anstrengung durch die hohen Töne – Sie müssen ja auch noch Falsettieren – auch ein Symbol für die Rolle sein?

Natürlich.

Sie haben auch in Bremen viel alte Musik gesungen, unvergeßlich ist mir „Jephta“ von Händel in der Regie von Herbert Wernicke und Mozarts „Cosi fan tutte“ in der Regie von Andras Fricsay. Heute singen sie sehr viel zeitgenössische Musik. Ist eigentlich der Zugang zu den neuen Partituren sehr anders als zu den alten?

Na ja, es fehlen die leicht zu merkenden Melodien. Die zeitgenössischen Rollen sind irre schwer zu lernen. Und hier in meiner Idioten-Partie – da fehlt der Text, ich singe nur Äch, äch, äch .... das ist wahnsinnig schwer, auswendig zu lernen. Aber mir gefällt die sänger-schauspielerische Anforderung. Ich kann hier etwas verkörpern. Ich bin wirklich der Meinung, daß man in der Oper ein fabelhaftes Schauspiel sehen können muß. Die Leute haben alles auf CD – da gibt's Pavarotti, Domingo, Carreras, mit denen kann und will ich gar nicht konkurrieren. Auf dem Live-Theater muß etwas anderes passieren. Ich will die Leute zu einem Gefühl bringen.....

Nach den vielen alten Rollen, die sie gesungen haben und den vielen neuen: gibt es denn heute nach den ganzen Erfahrungen Prioritäten?

Ich möchte eigentlich mehr und mehr Moderne singen. Aber zu Hause, wenn ich Stimmübungen mache, natürlich italienisches Belcanto: Bellini und so. Nur das hält die Stimme fit.

Sie haben ja in sehr anspruchsvollen Inszenierungen mitgewirkt. Stellen Sie Ansprüche an den Regisseur?

Ja. Ich will Rollen, die mich herausfordern. Ich möchte neue Entdeckungen mit meiner Stimme und meinem Spiel machen. Ich möchte mich infragestellen, innerlich weiterkommen und das auch an das Publikum weitergeben. Und das kann man natürlich nicht mit jedem Regisseur. Ich bin ganz einfach deswegen am Theater, weil ich spüren will, wo meine Grenzen sind. Diesen Idioten zu arbeiten, das ist so aufregend, so wahnsinnig anstrengend, ja, ...in jeder Hinsicht.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze