■ Normalzeit
: Gnadenloser Savignyplatz

Neben der allgemeinen Beschaffungskriminalität, die man allen, die etwas unternehmen, anhängen könnte, bei genügend ausgefeilter Verhörtechnik, gibt es noch die gemeine. Das reicht von der Bardame im Club Sophie, die in Samt und Seide und goldbehangen über das Sozialamt schimpft, das ihr gerade die Kleidergeldzulage strich: „Von einem Tag auf den anderen!“ – bis zum lebensuntüchtigen Fixer aus der Kantstraße, der bei mir einbrach, während ich schlief: Er klaute mir meinen letzten 10-DM-Schein aus der Brieftasche sowie Sabine Vogels kaputte alte Nikon-Kamera. Sie verabschiedete ihn dann sogar noch höflich: gerade in dem Moment, als er sich herausschlich, kam sie nämlich zur Tür herein.

Neulich stolperte ein ausgesprochener Pechvogel ins Cour Carrée und stellte dort vier Taschen beim Wirt unter. Der machte später eine Tasche auf: Sie war voller neuer Bücher, viele davon doppelt und dreifach. Etliche kannte er – als regelmäßiger Kunde des linken Buchladens gegenüber. Er ging rüber und holte den Buchhändler Wolfgang Rilling, der sofort feststellte, daß sie aus seinem Laden geklaut wurden. In den anderen Taschen entdeckten sie jede Menge Lebensmittel aus biologischem Anbau. Sesammühlen-Betreiber Hans Müller-Klug wurde ebenfalls herangeholt, und er identifizierte den Tascheninhalt als aus seinem Laden stammend. Die beiden erstatteten Anzeige, das hätten sie jedoch besser nicht getan. Der Dieb, wie von einem Pechvogel nicht anders zu erwarten, wurde zwar gefaßt, aber das Diebesgut nahm die Polizei als Beweisstück mit – bis zum Prozeß: so lange werden die Lebensmittel aber nicht halten, auch einige Bücher nicht.

Zu Wolfgang Rilling fällt mir immer wieder ein, daß ich noch seit nunmehr über fünfzwanzig Jahren eine dicke Bücherrechnung bei ihm offenhabe, und noch kein Mal hat er mich deswegen förmlich gemahnt. Zu den am meisten beklauten Kunstbuchläden Berlins zählt übrigens der Bücherbogen, ebenfalls am Savignyplatz. Und was ist mit Jes Petersen – dem Savignyplatz-Galeristen, der ein ganzes schleswig- holsteinisches Gutsbesitzervermögen in die Avantgardekunst stopfte? Ist er nicht genaugenommen auch ausgeraubt worden? Oder der Verleger Klaus Wagenbach – sein ganzes Leben hat er gegen die regressive Entsublimierung, „Surfbrett-Kultur“, gekämpft, publiziert, doziert – und was hat er nun davon? Eine Professur, ein Haus, einen geschmackvollen Verlag und jeden Tag interessante Einladungen – sonst nix!

Das muß am Savignyplatz liegen: ein hartes Pflaster. Kein Wunder, daß dort der Jerry-Cotton-Autor dahinvegetiert (er betritt seine Stammkneipe nur durchs Hinterfenster). Und Oskar Huth, einer der wichtigen Berliner Kulturschaffenden, es unlängst dort dem Zwiebelfisch- Wirt nachtat – und mir nichts, dir nichts beim Saufen verschied. Auch dem beliebten Kaufhaus- Erpresser Dagobert wurde der Savignyplatz zum Verhängnis. Am S-Bahnhof scheiterte eine Geldübergabe an ihn, was ihn vollends mürbe und unvorsichtig machte.

Um ein Haar hätte es da jetzt auch den ersten Ostler erwischt, den herzensguten Hanno Harnisch. Er knackte im Vollrausch den roten Trabant des Regisseurs Johann Kresnik, als dieser aus einer Edelkneipe trat, um Walter Momper und Frank Castorf die Angeberkarre vorzuführen. Die Harnisch-Tat hatte jedoch nichts mit Restalkohol, Sozialneid oder Expropriationswut zu tun, das ist der unbarmherzige Savignyplatz, der noch aus fast jedem einen Verbrecher gemacht hat und wo ein ständiges Geben und Nehmen herrscht. Helmut Höge